Ancelotti über Aus beim FC Bayern: „Rücksichtsloseste Entlassung meiner Karriere“

Ancelotti über Aus beim FC Bayern: „Rücksichtsloseste Entlassung meiner Karriere“

Trainer übt auch Selbstkritik 

Ancelotti über Aus beim FC Bayern: „Rücksichtsloseste Entlassung meiner Karriere“

©IMAGO

Carlo Ancelotti blickt mit negativen Gefühlen auf sein Aus beim FC Bayern. Der 66-Jährige, seit Juni als brasilianischer Nationaltrainer tätig, stand bei den Münchnern zwischen Juli 2016 und September 2017 in der Verantwortung. In seiner am 1. Oktober erscheinenden neuen Biographie „Der Traum: Wie man die Champions League gewinnt“ blickt der Italiener auf seine Episode beim deutschen Rekordmeister zurück. „Bild“ veröffentlichte vorab exklusiv Auszüge.

„Ich war inzwischen viermal von großen Vereinen entlassen worden: Juventus, Chelsea, Real Madrid und Bayern München. Woraus hervorgeht, dass es keines erratischen Präsidenten oder unberechenbaren Eigentümers bedarf, damit du abgesägt wirst. Das können auch Anteilseigner eines Unternehmens erledigen“, erzählte Ancelotti. Beim deutschen Rekordmeister sei es „die rücksichtsloseste Entlassung meiner gesamten Karriere“ gewesen. „Nach meinem Abgang erreichten sie in der Champions League das Halbfinale und scheiterten dort an – raten Sie mal! – Real Madrid.“

In der Vorsaison hatte der FCB die Meisterschaft mit 15 Punkten Vorsprung errungen. Dennoch soll es einem damaligen „Kicker“-Bericht zufolge zwischen Mannschaft und Trainer Meinungsverschiedenheiten gegeben haben. Führungsspieler wie Philipp Lahm oder Xabi Alonso, die im Sommer 2017 ihre Karrieren beendeten, hätten sich über die „unzureichende Trainingsarbeit“ unter Ancelotti an oberster Stelle im Verein beschwert. In der Spielzeit 2017/18 soll Arjen Robben behauptet haben, in der D-Jugendmannschaft des TSV 1860 München, in der sein Sohn spiele, werde besser trainiert als im Profiteam.

Ancelotti erklärte nun: „Wir distanzierten in der Bundesliga in dieser Saison (2016/17; d. Red.) die Konkurrenz um Längen, hatten am Ende fünfzehn Punkte Vorsprung und damit fünf Punkte mehr, als Pep in den beiden Jahren zuvor zwischen sein Team und den Zweiten der Tabelle gelegt hatte. Allerdings galt dies bei den Bayern nicht als Erfolg. Es war das Mindeste, was erwartet wurde.“

Ancelottis Aufstellungsfehler kostete ihm Trainerjob beim FC Bayern

Ins Aus beförderte sich Ancelotti mit einer überraschenden Aufstellung beim bedeutenden Champions-League-Spiel in Paris, das mit 0:3 aus Sicht der Bayern enden sollte. „Gegen Paris Saint-Germain beschloss ich, auf unsere in die Jahre gekommene Flügelzange zu verzichten und unsere Verteidiger weiter aufrücken zu lassen, während wir uns überwiegend auf Angriffe durch die Mitte verlegten“, erinnerte sich der Routinier. Jérôme Boateng, Mats Hummels, Franck Ribéry, Arjen Robben und Kingsley Coman wurden nicht für die Startelf berücksichtigt. „Es war ein Fehler. Die Balance stimmte nicht, und so konnten sie uns mit ihrem Konterspiel aufmischen. Ihr erstes Tor erzielten sie bereits in der zweiten Minute. Das Endergebnis von 0:3 war Bayerns heftigste Niederlage in dem Wettbewerb seit 21 Jahren.“

Nur einmal zuvor in seiner Trainerkarriere verließ Ancelotti nach derart kurzer Zeit ein Team: Reggiana trainierte er nur während der Saison 1995/96. Er war bis dahin niemals während einer Spielzeit entlassen worden. Gleiches passierte ihm bei seiner darauffolgenden Station SSC Neapel im Dezember 2019. „Du kannst als Trainer nicht deine prominentesten Spieler als Gegner haben“, erklärte Bayerns damaliger Präsident Uli Hoeneß dem Radiosender „FFH“. „Ich habe in meinem Leben einen Spruch kennengelernt: Der Feind in deinem Bett ist der gefährlichste. Deswegen mussten wir handeln.“ Dabei gilt Ancelotti als „Star-Flüsterer“, dem ein gutes Verhältnis auch zu exzentrischen Top-Spielern nachgesagt wird. Bei PSG trainierte er Zlatan Ibrahimović, bei Real Madrid Cristiano Ronaldo. In München galt das Verhältnis zu Lahm und Alonso eigentlich als gut – das zu Ribéry und Robben wiederum als angespannt.

Dass er sich von den Münchner Verantwortlichen nicht alles sagen lassen wollte, gab Ancelotti ebenfalls in seiner Biographie zum Besten: „Einmal baten mich die Bosse, bei den Spielern für mehr Disziplin zu sorgen, und drückten mir eine Liste mit fünf Punkten in die Hand, die ich den Spielern vorlesen sollte. Meiner Ansicht nach hatten wir es hier allerdings mit einer hochkarätigen Profitruppe zu tun und nicht mit einer Jugendmannschaft, deshalb sollte man auch entsprechend mit den Spielern umgehen. Also stellte ich mich in der Umkleidekabine vor die Mannschaft, zog das Blatt Papier aus der Tasche und sagte: ‚Ich habe Order vom Vorstand, euch diese Liste hier vorzulesen.‘ Das war meine Art, mich von dieser Aufgabe zu distanzieren.“


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Der Ancelotti-Freund und Biograf Chris Brady hatte gegenüber der „Sport Bild“ im Oktober 2017 die Gründe für die Entlassung in großen Teilen bei der Mannschaft gesehen und gesagt: „Carlo ist pragmatisch, er versucht immer mit den Gegebenheiten so gut wie möglich umzugehen. Aber Franck Ribéry ist seit zwei Jahren nicht mehr gut genug für internationales Top-Niveau. Auch Arjen Robben hat zunehmend Schwierigkeiten.“ Der Starcoach habe ihm verraten, dass er stets selbst mit einem Abschied aus München gerechnet habe: „Carlo ist ausgelaugt, leer. Er hat oft den Witz gemacht, dass er ohnehin längst Mitglied im größten Klub der Welt sei – dem Klub der entlassenen Trainer.“ Eine Tatsache, die verwunderte, denn Ancelottis Vertrag an der Säbener Straße lief ursprünglich bis 2019. „Carlo wusste immer: Nach der Saison wird er nicht mehr da sein“, meinte Brady.

Ancelotti gewann mit Real Madrid dreimal die Königsklasse und zweimal mit der AC Mailand. Er wurde Meister in allen Top-Ligen Europas: in Deutschland (Bayern), England (Chelsea), Spanien (Real), Italien (Milan) und Frankreich (PSG).

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