Zoff um Kanzler-Äußerungen: Warum Merz mit seinem Stadtbild-Satz recht hat
Ein Zwischenruf von Chef-Autor Peter Tiede
Worum es dem Kanzler geht: um abgelehnte Asylbewerber – hier in Leipzig
Friedrich Merz hat wieder die Empörungs-Maschine gefüttert: Das linke Ufer am deutschen Meinungsstrom schäumt! Der Kanzler wolle Migranten nicht im deutschen Stadtbild sehen! Also: Spalter (SPD), Rassismus (Grüne)!
So ein Blödsinn!
Man muss schon politisch schielen oder an ideologischer Hornhautverkrümmung leiden, um das aus den Kanzler-Sätzen zu lesen, die er am Dienstag in Potsdam bei seinem Antrittsbesuch im Land Brandenburg gesagt hat. Nämlich in Bezug auf die Migrationswende das hier:
▶︎ „Wir haben in dieser Bundesregierung die Zahlen von August 2024 zu August 25 im Vergleich um 60 Prozent nach unten gebracht.“
▶︎ Und dann: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“
Wo der Satz fiel: Kanzler Friedrich Merz (69, CDU) am Montag an der Glienicker Brücke (Agenten-Brücke) in Potsdam mit Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (63, SPD)
Der Kanzler beschreibt volkstümlich – also salopp, aber deutlich –, worin das politische Problem für seine Regierung liegt:
▶︎ Die Tausenden illegalen Migranten, die sein Innenminister nicht mehr ins Land lässt, sehen die Leute nicht. Das sind „nur“ Zahlen. Aber die abgelehnten Asylbewerber, die noch da sind, die Gruppen von jungen Männern in Parks und Fußgängerzonen, die Container-Dörfer, die sehen die Menschen. Im Stadtbild.
Die Folge: Das Problem besteht vor der Haustür der Menschen weiterhin. Jedenfalls solange es nicht gelingt, in nennenswerten – also spür- und sichtbaren – Größenordnungen abzuschieben, die Asyl-Container-Siedlungen zu leeren, die loszuwerden, die nicht bei uns sein dürften.
Und mit Erfolgen, die man nicht sieht, macht Merz gegen die AfD keinen und im eigenen Lager kaum einen Meter.
Und selbst mit einer Fehlinterpretation seiner Worte hätte der Kanzler noch immer nicht Unrecht: Dass nämlich weite Teile deutscher Ballungsräume eben nicht mehr so aussehen, wie es sich Menschen, die nicht dort wohnen und sich nicht daran gewöhnt haben, ihr Land eben nicht vorstellen. In ganzen Straßenzügen kann man als Muttersprachler streckenweise nur noch raten, was da für Läden sind. Zu Weihnachten gelten dort Ladenöffnungsverbote einfach nicht. Als offen lebender Jude oder schwules Pärchen kann man da nicht gefahrlos die Fahrbahn wechseln.
Und Müllmann will man da nicht sein, Polizist schon mal gar nicht. Und einer der letzten deutschen Jungen in der Klasse auch nicht (mein Sohn war das mal, die „deutsche Kartoffel“ – nie wieder!).
Aber davon, also von seiner alten Leitkultur, hat der Kanzler ja gar nicht geredet. Er hat nur auf ein Problem hingewiesen. Mehr nicht.
Aber das reicht mal wieder für den Reflex derer, denen das Land wohl noch immer zu einheimisch ist …
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