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1. Woidke wünscht sich AfD ohne Extremisten
Der Umgang der demokratischen Politik mit der AfD gleicht dem der katholischen Kirche mit dem Zölibat. Vor der Brandmauer macht man nicht miteinander rum, dahinter kommt es durchaus mal zu Annäherungen. Der einzige Unterschied: Bei der Kirche kriegt es kaum jemand mit, in der Politik wird der Schmuddelumgang beinahe täglich thematisiert – von den Handelnden selbst.
Die einen plädieren für den strengen Politzölibat (CDU-Chef Friedrich Merz), andere sprechen sich für eine Normalisierung der Beziehung zu den Rechtsextremisten aus (der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber, »Randfiguren« – O-Ton Merz), wieder andere haben in Kommunalparlamenten längst diese Normalität (die neu gewählte CDU-Bürgermeisterin Ulrike Heidemann in Bad Freienwalde zum Beispiel). Schließlich gibt es noch jene, die sich eine Zusammenarbeit mit der AfD nur unter bestimmten Bedingungen vorstellen können.
Zu Letzteren gehört neuerdings auch ein SPD-Politiker. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte, die AfD habe es »selbst in der Hand«, die Brandmauer überflüssig zu machen: »Indem sie alle Extremisten, alle Neonazis, alle ehemaligen NPD-Mitglieder und viele andere, die diesen Staat verachten, die die Demokratie und die Freiheit verachten, rausschmeißen.« Wenn es so weit wäre, könne sich die Partei bei ihm melden. Natürlich weiß Woidke, dass er niemals einen Anruf bekommen wird.
Trotzdem befeuert er ein Thema, das die demokratischen Parteien am liebsten tottreten würden – wie die Kirche die Diskussion über den Zölibat. In den Zentralen muss pure Panik herrschen. Meine Kollegin Linda Tutmann hat mit Sebastian Enskat gesprochen , der seit August 2023 das Auslandsbüro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Wien leitet und in einer Studie beschreibt, wie zehn europäische Länder mit ihren rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien umgegangen sind. »In Deutschland steht die AfD häufig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und wir verzetteln uns gern in Grundsatzdebatten – das ist aber selten zielführend«, sagt Enskat. Entscheidend sei, ob die Wähler das Gefühl haben, dass die Parteien der Mitte ihre Probleme wahrnehmen, angehen und lösen, so der Studienautor.
Merz zum Beispiel glaubt, das Stadtbild sei eines der Probleme und verweist auf die Töchter, die man mal fragen solle. Meine Kollegin Elisa Schwarze hat ein paar Reaktionen von Frauen und Töchtern im Netz zusammengetragen (Lesen Sie hier mehr). Tenor: fehlende Kitaplätze, Care-Arbeit, faires Gehalt, mangelnde Grünflächen, keine Radwege oder löchrige Busfahrpläne werden von vielen als größere Probleme genannt als Migrationsfragen.
Und ab morgen wird sicher wieder genau darüber und über die AfD gestritten.
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Lesen Sie hier mehr: SPD-Ministerpräsident Woidke irritiert mit Äußerungen zur AfD
2. Haft für Putin?
EU-Ratschef António Costa hat heute den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zum Oktober-Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten eingeladen, der am Donnerstag beginnt. Ob er persönlich kommt oder per Video zugeschaltet wird, ist bisher nicht klar.
Hintergrund der Einladung ist offenbar das von US-Präsident Donald Trump angedachte Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Budapest. Zwar rudert das Weiße Haus inzwischen zurück, es gebe keine Pläne für ein Treffen »in naher Zukunft«. Aber abgesagt wurde das Vorhaben nicht.
Die EU befürchtet, dass dabei über den Kopf von Selenskyj hinweg verhandelt wird, unter welchen Bedingungen der russische Angriffskrieg beendet werden könnte. Die Europäer wollen Selenskyj deswegen noch einmal Unterstützung zusichern und ihm klarmachen, dass er keine Zugeständnisse gegen seinen Willen machen muss. Wann Putin nach Budapest kommen wird, ist noch nicht bekannt. Doch anders als für Selenskyj dürfte seine Anreise zu einem Spießrutenlauf werden.
Gegen Putin wurde am 17. März 2023 vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ein internationaler Haftbefehl erlassen. Um von Russland in die ungarische Hauptstadt Budapest zu gelangen, müsste Putin entweder über die Ukraine oder über mindestens einen Mitgliedstaat der Europäischen Union fliegen, die jeweils dem Internationalen Strafgerichtshof angehören. Polen hat heute schon mal klargemacht, dass es keine gute Idee wäre, über polnischen Luftraum zu fliegen. Man könne nicht garantieren, ein solches Flugzeug nicht abgefangen wird, »um den Verdächtigen an das Gericht in Den Haag zu übergeben«, sagte Polens Außenminister Radosław Sikorski bei Radio Rodzina.
Es ist kaum vorstellbar, dass Putin tatsächlich festgenommen würde. Er könnte auch über Rumänien fliegen. Und die Rumänen haben genauso wie die Ungarn zugesichert, dass sie Putin gewähren ließen. Damit ist der Haftbefehl nicht mal so viel wert wie das Papier, auf dem er steht.
3. Der Raumausstatter des Ostens
Kaum jemand wird mit dem Namen Rudolf Horn etwas anfangen können. Aber Millionen Deutsche saßen über Jahrzehnte auf seiner Couch, stellten ihre Gläser in seine Schränke, schrieben ihre Hausaufgaben an seinem Schreibtisch. Noch bevor Ikea im Westen populär wurde, entwickelte Horn in den frühen Sechzigerjahren der DDR das MDW-Design, eine Abkürzung für Möbelprogramm Deutsche Werkstätten oder auch Modularmöbel Deutsche Werkstätten. Heute wurde bekannt, dass Horn mit 96 Jahren gestorben ist.
Sein Design bezeichnete ein variables Baukastensystem des VEB Möbelkombinat Dresden-Hellerau. Es ermöglichte den Menschen, durch den modularen Aufbau der Möbel unterschiedliche Wohnsituationen und Bedürfnisse zu berücksichtigen. Seine Möbel waren eine Antwort auf die neuen Plattenbausiedlungen, die nach der Zerstörung von rund sechs Millionen Wohnungen im Osten Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg überall entstanden. Horns Möbel passten sich gewissermaßen dem Raster der Wohnblöcke an. »Es war ein bewusstes Suchen nach einem neuen Weg, nach einer neuen Ästhetik, nach einer neuen Form des Gebrauchs«, sagte Horn einmal. Ikea kannte er damals gar nicht, er arbeitete nur früher nach der gleichen Philosophie wie später der Schwede Ingvar Kamprad.
Ich war einer dieser Schüler, die im Horn-Jugendzimmer spielten und lernten. So wie meine Freunde. Und deren Freunde auch. Im Osten erzählte man sich den Witz, dass ein Mann morgens in seiner Wohnung auf seiner Couch aufwacht, als eine Frau ins Wohnzimmer kommt. Es ist nur nicht seine, sondern die Nachbarin. Der Mann soll einen über den Durst getrunken und nicht gemerkt haben, dass er in die falsche Wohnung ging. Sie sah genauso aus wie die eigene. Voller Horn-Möbel.
Man nannte ihn den »Design-Papst des Ostens«, ein Begriff, mit dem er immer haderte. »Ich war nie päpstlich«, sagt er mal dem MDR. Er sah sich nicht als abgehobener Designer für die Eliten, sondern als Dienstleister für die Bevölkerung, die ihre Bedürfnisse im Mangelstaat DDR befriedigen wollte. Sein selbst designtes Leipziger Arbeitszimmer in Mintgrün hat das Kunstgewerbemuseum Pillnitz bereits als Teil der staatlichen Kunstsammlung Dresden gekauft. Horn bat darum, es noch weiter nutzen zu dürfen. »Da müsst ihr noch etwas warten«, sagte er beim Verkauf. Jetzt kann es an die Elbe umziehen.
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Lesen Sie hier mehr: Designer Rudolf Horn ist tot
Was heute sonst noch wichtig ist
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Junge Unionspolitiker sehen sich im Widerstand gegen Rentenpaket bestärkt: Ein Großteil der Unionsfraktion stehe hinter ihnen, sagt JU-Chef Johannes Winkel über den Widerstand der Jungen Gruppe im Bundestag gegen das geplante Rentenpaket. Kritik gibt es von der SPD.
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Deutsche Städte scheitern mit Hilfsangebot für Kinder aus Gaza: Mehrere deutsche Großstädte wollten verletzte Kinder aus dem Kriegsgebiet in Gaza aufnehmen. Die Bundesregierung lehnt das ab. Hilfsbereite Politiker nennen die fehlende Unterstützung nicht nachvollziehbar und »grausam«.
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In Kooperationsbereitschaft nur ein Ausreichend: Teamarbeit ist nicht unbedingt die Stärke der Lehrkräfte in Deutschland. Das legen Zahlen nahe, die eine Stiftung erhoben hat. Sie musste dafür die Kultusministerkonferenz austricksen.
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Polens Geheimdienst fasst acht mutmaßliche Saboteure: Sie sollen Militärziele und kritische Strukturen in Polen ausspioniert haben: Acht Männer wurden festgenommen, außerdem wurde Sprengstoff sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft vermutet Russland als Auftraggeber.
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Thomas Plaßmann
Und heute Abend?

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Möchte ich Ihnen eine Musikerin ans Herz legen, die ich kürzlich neu entdeckt habe: die Pianistin Sharon Mansur, 1996 in Israel geboren und in Haifa aufgewachsen. Sie lernte früh klassisches Klavier und landete irgendwann beim Heavy Metal. Inzwischen hat sie sich im Jazz angesiedelt, der ihr offenbar die größte Form der Freiheit lässt. Ihr Spiel ist beeinflusst von orientalischer Musik, von cineastischen Klängen und tanzbaren Club-Rhythmen. Wer glaubt, das sei nix Halbes und nix Ganzes, kann sich entweder hier (bei YouTube ) vom Gegenteil überzeugen lassen, oder bei einem ihrer kommenden Auftritte:
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25. Oktober: Jazzclub Unterfahrt, München
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26. Oktober: Nuejazz Festival, Nürnberg
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12. November: Nica Jazz Club, Hamburg
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13. November: Leverkusener Jazztage
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15. November: Gschwender Musikwinter
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Janko Tietz, Leiter des SPIEGEL-Nachrichtenressorts