Selbst in einer Welt, in der Stromkästen schön sein könnten, wäre dieser vermutlich hässlich. Hätte er Füße und Hände, könnte er laufen und gestikulieren, wäre er wer, über den man sagen würde »Du, der ist nett!«. Aber es wäre nicht als Kompliment gemeint.
Denn Klotzi, so heißt der kleine Kasten, schielt. Und mit den aufgemalten Augen und einem leicht senilen Lächeln wirkt er nicht wie jemand, den man um Rat bittet. Angeschlagen sieht er aus, wie er so unter dem weißen Dezemberhimmel steht.
In Ostrhauderfehn ist das Gras in den Vorgärten millimetergenau gemäht, die Hecken gestutzt, noch im Winter will man den Rasenmäher »wwwt« machen hören. Wenn da nicht das Moos wäre. Dafür gibt es den Vertikutierer. Ein Gerät, das Rasen bereinigt.
Anfang des Jahres formierte sich hier, inmitten der roten SPD-Bastion Ostfriesland, eine AfD-Hochburg. Die rechtsextreme Partei sammelte bei der Bundestagswahl überraschend die meisten Zweitstimmen.
An den Mauern gibt es keine Street-Art. Hier gibt es Schmierereien. Ostrhauderfehn besitzt eine Mühle, Zugbrücken und sogar ein Dampfschiff. Noch vor rund einem halben Jahrhundert zogen Torfschiffe mit braunen Segeln über Fehnkanäle. Klotzi passt nicht ins Stadtbild .
Und trotzdem hat er sich zum inoffiziellen Maskottchen von Ostrhauderfehn gemausert. Nicht der Kanal. Nicht die Zugbrücke.
Ein Kasten.
Und eine Frage, die bleibt:
Wie konnte das passieren?
Eine kleine Berühmtheit: »Ich liebe Klotzi. <3«
Foto: Caspar Sessler / DER SPIEGEL
Schuld am Klotzi-Kult hat eine Meme-Seite. 2022 fing der Satire-Account hell_ofehn an, den Kasten bei Instagram zu posten. Nightlife stand unter einem Foto, auf dem Klotzi im Dunkeln steht. Ostrhauderfehn hat um die 12.000 Einwohner. Bei Nacht kann es einem so vorkommen, als gäbe es keinen einzigen.
Abfahrt: »Erst mal nichts Besonderes«
Foto: Caspar Sessler / DER SPIEGEL
Wer hinter dem Account steckt, weiß keiner. Doch kurz darauf trug jemand den Kasten, hinter dem heute eine Apotheke Wundkompressen feilbietet, bei Google als Sehenswürdigkeit ein.
Aktuell liegt sein Schnitt bei 4,6 Sternen:
»Es ist eine Botschaft: ›Lach trotz Stromrechnung!‹ Ich war tief bewegt.«
»Streetart mit Lächeln ist besser als nur grau.«
»Ich liebe Klotzi. <3«
Aber was hat Klotzi eigentlich auf dem Kasten?
Zunächst einmal sei er eine Schaltzentrale, sagt Daniel Schomerus. Seine Firma betreibt den Kasten. Einen Meter hoch, einen Meter breit, Platinen, Steckdose, 600 Kilowattstunden, »erst mal nichts Besonderes«, wie Schomerus sagt, »aus Sicht eines Ampeltechnikers«.
Eine Reisewebsite hat ihn als Sehenswürdigkeit empfohlen. Zusammen mit einem unsichtbaren Stein und einer Pissrinne. Viele der Google-Rezensionen sind inzwischen gelöscht. Irgendwer muss sie gemeldet haben.
Viele lieben ihn, finden ihn süß, aber nicht alle mögen, wofür er steht.
Als der Satire-Account hell_ofehn Anfang des Jahres mit Fotos von ihm dazu aufrief, gegen rechts zu wählen, gefiel das nicht allen. Seine Community bastelte trotzdem 3D-Klotzi-Anhänger, ging damit auf Reisen – und mit Klotzi-Schildern auf Demos. Kurz nach der Wahl zog sich hell_ofehn zurück.
Klotzi schaltet weiter. Hätte Ostrhauderfehn einen Knotenpunkt, wäre es diese Kreuzung. Er entscheidet über Rot, Gelb, Grün, wann man Gas gibt und wann man besser bremst. Er ist inklusiv. Er bringt Sehbehinderte über die Straße.
Ein Mann mit Hund kommt vorbei. Joachim Stumpe war Helfer im Wahllokal, sagt er. Überrascht von den Ergebnissen ist der 66-Jährige nicht. »Probleme mit rechts hatten wir schon immer, wir wollten das nur nie wahrhaben.« Klotzi findet er nett. »Ein Stromkasten, der lächelt, ist besser als ein Stromkasten, der nicht lächelt.«
Im Sommer ziehen E-Bike-Touristen über die Dollart-Route durch den Ort, essen Sahnetorte, trinken Tee, kriegen Sonnenbrand.
Doch wie sieht die Welt aus, auf die Klotzi blickt?
Wer sich als Autofahrer für die Straße entscheidet, auf die der Kasten schaut, kann schlecht umdrehen. Denn der Kanal, die Wieke, lässt auf jeder Seite nur eine Richtung zu. Wer umdrehen will, kann das erst nach Kilometern. Auf der rechten Seite fahren Autofahrer von Klotzi weg, auf der linken finden sie zurück.
Deutschlandflagge im Wind: Der Besitzer möchte nicht über Politik reden
Foto: Caspar Sessler / DER SPIEGEL
Auf der rechten Seite gibt es einen Kiosk mit Deutschlandflagge. Auf dem Backsteingiebel entfaltet ein Adler seine Flügel. Der Besitzer möchte nicht über Politik reden. Nicht gut fürs Geschäft, sagt er. Auf TikTok gibt es ein Video, das ihn im Merkel-Shirt zeigt. Es ist ein Mugshot von ihr. Eines seiner Tattoos, der Wotansknoten, stammt aus der nordischen Mythologie. Ein Symbol, das auch von Rechtsextremen verwendet wird. Ein paar Meter neben dem Laden steht eine Laterne. Es ist die mit den meisten AfD-Stickern an der Wieke.
In Klotzis Augenwinkel ist Wreesmann. Wreesmann ist ein Einzelhandel. Er bietet Gartenmöbel, Elektroartikel und eine »Young-Fashion-Modestraße«. An der Innenseite einer Backsteinsäule des Gebäudes, mit Blick auf Klotzi, sind mehr Aufkleber. »Stolz statt bunt. Identität braucht keinen Regenbogen«, steht auf einem. Ein paar Meter weiter kauert eine Currywurstbude.
Sticker in Ostrhauderfehn: »Stolz statt bunt. Identität braucht keinen Regenbogen.«
Foto: Caspar Sessler / DER SPIEGEL
»Klotzi steht für Solidarität in diesem kleinen Kaff«, sagt Alina Gosch. Die 25-Jährige aus Ostrhauderfehn arbeitet mit minderjährigen Geflüchteten. Sie bekomme es täglich mit, wenn Menschen stigmatisiert würden und kenne Klotzi von hell_ofehn. Den kleinen Kasten sehe sie jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit und freue sich. »Ich finde es erschreckend, dass die AfD hier immer mehr Zuspruch findet.«
Aber was sind schon 600 Kilowattstunden für die Demokratie?
Eine Menge, finden Marcel Wolter und Mathias Uslar. Auch sie kennen Klotzi von hell_ofehn. Als der Kasten Opfer eines Farbanschlags wurde, nahmen sie Kontakt zur Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr auf und restaurierten den kleinen Klotz mit einer Künstlerin. Klotzi-Kulter brachten Kuchen. Uslar stammt aber aus Oldenburg, 50 Fahrtminuten von Ostrhauderfehn.
Was hat so einer mit einem Stromkasten zu tun?
»Es ist komplett random alles«, sagt er selbst. Aber hell_ofehn findet er toll.
Er sitzt mit Marcel Wolter bei Ostfriesentee am Tisch. Sie reden gern über Klotzi. Bei seinem Facelift seien sie angepöbelt worden. Von einem Autofahrer mit Deutschlandflagge. »Wer Klotzi folgt, ist halt eher links«, sagt Uslar. Dank hell_ofehn sind sie eines: damit weniger allein.
Teetied mit Klotzi-Fans Marcel Wolter (v.l.), Julia Janssen und Mathias Uslar: »Wer Klotzi folgt, ist halt eher links«
Foto: Caspar Sessler / DER SPIEGEL
SPIEGEL: Und ist Klotzi am Ende, jetzt wo hell_ofehn weg ist?
Wolter: Nee. Wem er fehlt, druckt sich die 3D-Figur aus und stellt sie sich auf den Schreibtisch. Der Echte arbeitet jeden Tag weiter.
SPIEGEL: Hätte Klotzi auch ein Mülleimer sein können?
Wolter: Wahrscheinlich schon.
Hinter ihm klebt am Kühlschrank ein Klotzi-Logo.
Wolter: Wahrscheinlich war alles ein Zufall.
Am Ende der Recherche taucht hell_ofehn samt Account wieder auf. Er entschuldigt sich für Tausende Memes. Das seien viel zu wenige. »The world is healing. Hell_ofehn ist wieder online«, postet ein Follower.
Und Klotzi, die Demokratiemaschine Ostrhauderfehns, schaltet weiter. Leicht lädiert, ein wenig angelaufen ob der Luftfeuchtigkeit, mit 600-Kilowattstunden-Lächeln.
Ob er ins Stadtbild passt oder nicht.



