Ex-Kölner & -Aachener: Sichone über Kulturschock Karneval, Élber & UEFA-Cup-Abende

Ex-Kölner & -Aachener: Sichone über Kulturschock Karneval, Élber & UEFA-Cup-Abende

Ex-Kölner im Interview 

Ex-Kölner & -Aachener: Sichone über Kulturschock Karneval, Élber & UEFA-Cup-Abende

©Fußballverband Sambia

Zum Jahresausklang blicken wir zurück auf einige unserer Interview-Highlights des Jahres 2025. Im Juli veröffentlichten wir den Artikel zu unserem Gespräch mit Ex-Profi Moses Sichone.

Für fünf Profiklubs lief Moses Sichone in Deutschland auf. Bleibenden Eindruck hinterließ er vor allem beim 1. FC Köln und Alemannia Aachen, wo er sich zum Publikumsliebling entwickelte. Im Interview mit Transfermarkt erzählt der ehemalige Innenverteidiger lustige Anekdoten aus seinen Kölner und Aachener Zeiten mit Dirk Lottner oder Giovane Élber, wird aber auch ernsthaft. Zudem spricht er über sein Engagement in seiner Heimat Sambia.

Seit 2022 arbeitet Moses Sichone als Co-Trainer der sambischen Nationalmannschaft. Wenn er redet, lauschen vor allem die jungen Talente, denn er hat das erlebt, was sich viele von ihnen wünschen: eine Karriere in der Bundesliga. Um auf den Radar von deutschen Vereinen zu kommen, kann der in wenigen Monaten anstehende Afrika-Cup hilfreich sein. Für Sichone war das größte Fußballturnier Afrikas der Ausgangspunkt seiner Laufbahn.

Der Ex-Profi fragt sich manchmal, was aus ihm geworden wäre, wenn er damals nicht von Scouts entdeckt worden wäre. „Bis heute ist der Afrika-Cup ein großes Sprungbrett für afrikanische Talente. Ich bin einfach nur dankbar, dass ich diese großartige Chance bekommen habe. Ich konnte damals das Angebot auch nicht wirklich realisieren, weil alles so schnell ging. Normalweise musste man in Sambia über Monate hinweg auf ein Visum warten und auf einmal war ich innerhalb weniger Tage in Deutschland“, erzählt der 48-Jährige, der 1999 vom sambischen Erstligisten Nchanga Rangers FC zum 1. FC Köln wechselte.

Zwei von Beginn an wichtige Bezugsperson waren der damalige Cheftrainer Ewald Lienen und Sportdirektor Hannes Linßen. „Ewald und Hannes sind zwei absolut herzensgute Menschen. Als ich in der Anfangsphase Heimweh hatte, ließ Hannes mich von seinem Telefon über Stunden hinweg mit meiner Familie telefonieren. Ewald war es auch wichtig, dass wir möglichst schnell Deutsch lernten. Fast jeden Tag hatten alle ausländischen Spieler Deutschunterricht. Meine ersten Worte und Sätze auf Deutsch waren: ‚unglaublich‘, ‚nicht zu fassen‘, ‚kann doch nicht wahr sein‘. Das lag daran, dass Ewald diese Worte und Sätze in jedem Training verwendet hat. Ich wurde ja vor seinem Training gewarnt, aber ich fand es eher entspannt. Das lag daran, dass ich es aus Sambia gewohnt war, hart zu trainieren. Ich hatte einen Trainer, der uns erst 15 Kilometer laufen ließ, um dann noch eine Trainingseinheit bei 35 Grad durchzuführen“, erinnert sich Sichone lachend.

Sichone über Anfangszeit beim 1. FC Köln: „War geschockt“


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Dass er nicht in irgendeiner deutschen Großstadt lebte, sondern in einer absolut fußballverrückten Metropole merkte der ehemalige Abwehrspieler schnell. „Wenn du in Köln eine Sache nicht machen kannst, dann ohne angesprochen zu werden durch die Stadt zu schlendern. Egal in welchem Stadtteil ich unterwegs war, ich wurde immer angesprochen, auf mein Spiel, auf die nächste Partie, auf die Gesamtsituation im Verein. Egal, ob von kleinen Kindern oder dem netten Opa von nebenan, jeder hat mit dem Effzeh mitgefiebert. Genau das hat mich immer begeistert, du konntest immer auf die Unterstützung der Fans zählen.“

Für den sambischen Nationalspieler war der Sprung zum Effzeh und speziell in die Domstadt vergleichbar mit dem erstmaligen Besuch eines Freizeitparks, da er erschlagen wurde von der Vielzahl von Eindrücken. „Als ich das erste Mal die Trainingskabinen und vor allem den Trainingsplatz gesehen habe, war ich geschockt. Der Rasen sah aus wie ein Teppich, gefühlt jeder einzelne Grashalm stand gerade. In Köln konnte ich mir aus einer Palette von Fußballschuhen meine eigenen aussuchen. In Sambia spielte ich bis zu meinem 14. Lebensjahr barfuß und die ersten Fußballschuhe, die ich geschenkt bekam, habe ich bis zum Umfallen gepflegt“, erzählt er lachend.

Mit eher ernsterem Ton fügt er dann hinzu: „In Köln gab es Spieler, die haben ihre Fußballschuhe aussortiert, wenn sie nur ein kleines Loch hatten. Ich habe diese dann gesammelt und mit nach Sambia genommen. Manchmal hatte ich in Deutschland das Gefühl, dass die Menschen nicht zu schätzen wussten, in welchem Luxus sie lebten. Was mich tatsächlich in Köln gestört hat, war die Unzufriedenheit einiger Menschen. Sie haben einen Job, sie haben eine Familie, sie sind gesund und trotzdem laufen sie mit schlechter Laune durch die Gegend. Sehr häufig habe ich mir gedacht: Sei doch einfach dankbar für dieses wunderschöne Leben – ein Leben, das jeder Sambier sofort eintauschen würde.“

Moses Sichone 2000 im Trikot des 1. FC Köln

Moses Sichone 2000 im Trikot des 1. FC Köln

Während viele Experten Sichone von Beginn an abschrieben und ihm nicht mehr als eine Backup-Rolle zutrauten, erkämpfte er sich einen Platz in der Startelf. „Die Konkurrenz war groß, keine Frage, aber ich hatte ein großes Selbstbewusstsein. Ich habe mir immer gesagt, dass ich seit meiner Kindheit für diesen Traum lebe und mir diesen Traum weiterhin erfüllen möchte, entsprechend intensiv habe ich trainiert. Ich konnte mit dem Druck, den man als Fußballprofi hat, gut umgehen. Aber ganz ehrlich, jeder Mensch hat in seinem Beruf Druck, egal ob Bäcker, KFZ-Mechaniker oder Fußballprofi. Das Wichtigste, um erfolgreich zu sein, ist die Freude und die Liebe zum Beruf. Ich habe jede Partie einfach nur genossen.“

Doch es gab eine Ausnahme: ein Spiel gegen den Chemnitzer FC. „Wir wurden von Ewald Lienen bereits vorgewarnt, dass die Menschen in Chemnitz noch nicht tolerant genug seien. Aber was wir erlebt haben, war unfassbar. Bei jeder Ballberührung wurden Pascal Ojigwe und ich ausgepfiffen, aufs Übelste beleidigt. Nach der Partie saß ich in der Kabine, habe geweint und einfach nur auf den Boden gestarrt. Ich habe mich wirklich gefragt, was an mir und meiner Hautfarbe falsch ist und warum mir so etwas passiert. Ich muss ganz klar sagen, dass wir uns in dieser Phase mehr Unterstützung vom DFB gewünscht hätten, aber da kam leider nichts“, blickt Sichone zurück.

Sichone über schlimmsten Gegenspieler Élber und Kulturschock Karneval

Schon in seiner Debütsaison durfte der Innenverteidiger mit seinen Teamkollegen den Aufstieg und damit die Rückkehr in die Bundesliga feiern. Bis heute schwärmt er vom Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft. „Wir hatten wirklich eine geile Truppe beisammen. Mit Dirk Lottner hatte ich den wohl besten Mitspieler meiner Karriere an meiner Seite. Der hatte eine fußballerische Qualität, die war brutal. Wenn einer Freistöße aus sämtlichen Positionen schießen konnte, dann er. Aber er hatte auch andere Qualitäten, insbesondere, wenn es ums Feiern ging. Bei Carsten Cullmann, Alexander Voigt und Dirk Lottner wusstest du, dass ein Fass Kölsch nicht lange hält. Das waren richtige Feierbiester“, erzählt er amüsiert.

In seiner ersten Bundesligasaison traf Sichone auch gleich auf den schlimmsten Gegenspieler seiner Karriere. „Gegen Giovane Élber hatte ich keine Chance, der war eiskalt und eine Maschine zugleich. Der brauchte nur eine Lücke und sofort klingelte es im Tor. Die Spiele gegen Bayern München waren immer ein absolutes Highlight. Mein Stiefvater war großer Lothar-Matthäus-Fan. Nach einer unserer Partien war Matthäus im Stadion, ich habe mich aber nicht getraut, ihn anzusprechen. Am Ende hat mir Sammy Kuffour geholfen, der sogar ein altes Trikot von Matthäus organisiert hat. Mein Stiefvater hat über Wochen hinweg nur dieses Trikot getragen.“

Sichone 2002 im Duell mit Giovane Élber

Sichone 2002 im Duell mit Giovane Élber

Auf das lustigste Erlebnis außerhalb des Sports angesprochen, fällt ihm sofort der erstmalige Kontakt mit dem Karneval ein. „Wir haben damals in der Klapsmühle gefeiert. Auf einmal kam eine wildfremde Frau auf mich zu, gab mir einen Kuss und fasste mich an meinem besten Stück an. Ich dachte mir, wo bin ich hier denn gelandet. Christian Springer sah das, kam lachend zu mir rüber und sagte nur: ‚Herzlich Willkommen beim Kölner Karneval, das wird dir noch häufiger passieren.‘“

Sichone mit Aachen im UEFA-Cup – Pokal-Sieg gegen FC Bayern „Highlight“

2004 entschied sich Sichone für einen Tapetenwechsel und schloss sich dem damaligen Zweitligisten Alemannia Aachen an. Die Alemannia durfte aufgrund ihrer Finalteilnahme im DFB-Pokal im UEFA-Cup starten und traf unter anderem auf LOSC Lille, AEK Athen und den FC Sevilla. „Die Zeit in Aachen war phänomenal. Wir haben damals den Aufstieg in die Bundesliga geschafft, aber die Pokalspiele, national wie international, waren unvergessliche Highlights. Ich weiß noch ganz genau, wie wir von tausenden Alemannia-Fans beim Spiel in Athen gegen AEK unterstützt wurden. Es war einfach nur geil.“

Einen für ihn noch größeren, wenn nicht sogar den größten emotionalen Stellenwert hat der überraschende 4:2-Sieg im DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Bayern München 2006. „Das Spiel an sich war schon ein absolutes Highlight. Die Bayern kamen mit Stars wie Lúcio, Sagnol und van Bommel. Unser Vorteil war natürlich der alte Tivoli. Der hatte seinen eigenen Charme, war sehr eng gebaut und roch entsprechend auch so. Auch die Kabinen lagen ganz eng beieinander. Wenn wir in unserer Sauna saßen, konnte man gefühlt hören, was die Gegner sagen. Wir waren der absolute Underdog, aber genau das war unsere Chance“, erinnert er sich.

Die Elf von Alemannia Aachen bejubelt ein Tor im DFB-Pokal 2006 gegen den FC Bayern

Die Elf von Alemannia Aachen bejubelt ein Tor im DFB-Pokal 2006 gegen den FC Bayern

Seine jahrelange Profierfahrung gibt Sichone nun an die nächste Generation weiter. Seit 2022 unterstützt er den sambischen Nationaltrainer Avram Grant als Assistenten. „Als Spieler hast du nur das nächste Training im Kopf, um alles andere kümmert sich der Trainer. Jetzt merke ich, wie herausfordernd, stressig, aber zugleich auch sehr erfüllend die Arbeit als Coach sein kann. Als ich damals unterschrieben habe, war der Druck sehr groß, weil wir uns dreimal hintereinander nicht für den Afrika-Cup qualifizieren konnten. Jetzt sind wir wieder dabei und entsprechend freuen sich alle auf dieses Highlight“, sagt der ehemalige 83-fache Bundesligaprofi.

Für die Menschen in Sambia bedeutet der Afrika-Cup kurz gesagt alles.

Während das Turnier in der Vergangenheit traditionell im Januar startete, ist der diesjährige Auftakt am 21. Dezember. Das afrikanische Großereignis stellt insbesondere für die Spieler, Fans und Bevölkerung ein absolutes Fußballfest dar. „Für die Menschen in Sambia bedeutet der Afrika-Cup kurz gesagt alles. 2012 haben wir den Cup gewonnen, seitdem herrscht eine noch größere Euphorie. Der Cup ist vergleichbar mit der Europameisterschaft. Jedes Spiel wird wie ein Festtag gefeiert. In erster Linie freuen wir uns über die Teilnahme. Wir wollen möglichst weit kommen und ich freue mich für jeden einzelnen Spieler, der das Erlebnis Afrika-Cup erleben darf“, betont Moses Sichone zum Abschluss.

Interview und Text von Henrik Stadnischenko

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