Torwarttrainer Henzler im Interview über St. Pauli und Schalke 04

Torwarttrainer Henzler im Interview über St. Pauli und Schalke 04

War „Weltpokalsiegerbesieger“ 

Torwarttrainer Henzler im Interview über St. Pauli und Schalke 04

©IMAGO

Zum Jahresausklang blicken wir zurück auf einige unserer Interview-Highlights des Jahres 2025. Im September veröffentlichten wir den Artikel zu unserem Gespräch mit Ex-Profi Simon Henzler.

Seit über 14 Jahren ist der ehemalige „Weltpokalsiegerbesieger“ Simon Henzler als Torwarttrainer tätig. Den Großteil seiner Trainiertätigkeit verbrachte er beim FC Schalke 04 und arbeitete unter anderem mit Ralf Fährmann und Alexander Nübel zusammen. Bei Transfermarkt gibt er Einblicke in seine Arbeit, erinnert sich an den sensationellen Underdog-Sieg mit dem FC St. Pauli 2002 gegen den großen FC Bayern und daran, wie ihn Schalke und Fährmann beeindruckten.

Für Henzler ist die Aufgabe als Torwarttrainer kein Beruf, sondern eine Passion. Das stellt der ehemalige Bundesliga-Keeper gleich zu Beginn unseres Gesprächs fest. „Das Torwartsein begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Als Torwart spielen zu dürfen, hat mich genauso mit großer Freude erfüllt, wie jetzt als Torwarttrainer tätig zu sein.“

Mit dem FC St. Pauli spielte Henzler 2001/02 in der Bundesliga.

Mit dem FC St. Pauli spielte Henzler 2001/02 in der Bundesliga.

Dass er heute als Torwarttrainer arbeiten kann, habe Henzler der Inspiration dreier Menschen zu verdanken: „Klaus Thomforde hat mich in Sachen Mentalität und Einstellung geprägt, vor allem die Ausrichtung auf den richtigen Fokus“, sagt er über die einstige St.-Pauli-Ikone. Henzler ergänzt: „Thomas Schlieck hat mich mit seiner innovativen Trainingssteuerung begeistert. Dazu habe ich von Volker Ippig insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich viel lernen können.“

Henzler über Ippig, Kahn, Globuli und dreckige Bälle

Lachend muss Henzler sofort an eine besondere Situation mit dem als Paradiesvogel bekannten ehemaligen Hafenstraße-Besetzer Ippig denken, der in 1980er-Jahren den neuen, jetzt alternativen FC St. Pauli auch neben dem Platz prägte. Als Henzler auf Ippig traf, war der frühere Keeper schon Torwarttrainer bei den Braun-Weißen, doch nicht nur das, „sondern auch Heilpraktiker. Ich erinnere mich, dass er mir einen angeschwollenen Fuß mit verschiedenen Nadeln und Arnica-Spritzen behandelt hat, dazu gab es noch Globuli. Und tatsächlich hat es gewirkt und ich konnte ein paar Tage später wieder auf dem Platz stehen.“

Ein Highlight seiner aktiven Karriere war der 2:1-Sieg mit St. Pauli gegen den FC Bayern München in der Saison 2001/02. „Den Titel Weltpokalsiegerbesieger, wenngleich auch kein richtiger Titel, trage ich immer noch mit Stolz. Wir waren damals der absolute Underdog. Es gab Fans, die hatten sogar Sorgen, dass wir zweistellig verlieren könnten. Vielleicht hat uns aber auch die leichte Arroganz der Bayern in die Karten gespielt. Ich erinnere mich daran, dass Oliver Kahn beim Aufwärmen gewütet hat, er hätte noch nie so schlechte, so alte und so dreckige Bälle gesehen. Viele glauben ja, die Party danach lief ausschweifend, was aber nicht der Fall war, weil wir ein paar Tage später direkt gegen Schalke spielen mussten. Was aber ein Fakt war: Es wurde mehr als ein Bier in der Kabine getrunken.“

Für den großen Durchbruch im Profifußball reichte es für Henzler auch mit dem damals hochgradig überraschenden Ausflug in die Bundesliga nicht. So kann er sich auch gut hineinversetzen in jene Torhüter, die nicht zum Zuge kommen. „Dass ich nicht mehr Spiele absolviert habe, liegt auch daran, dass mir der Ellenbogen gefehlt hat und mir Harmonie immer wichtig war“, erinnert sich Henzler. „Meine besten Freunde in den jeweiligen Mannschaften waren oftmals meine Konkurrenten. Was zu der Zeit nicht selbstverständlich war, weil zur damaligen Zeit Konkurrenzkampf einen sehr hohen Stellenwert hatte und nicht wie heute Wert auf ein funktionierendes Torwartteam gelegt wurde.“

Henzler: Auf Schalke „erstmals erlebt, was Strahlkraft bedeutet“

Heute, in Diensten des DFB, gehört Henzler zu den renommiertesten Torwarttrainern in Deutschland. Vor allem mit seiner Arbeit beim FC Schalke machte er sich in der Branche einen Namen. 2015 wechselte er unter dem damaligen neuen Cheftrainer André Breitenreiter zu den Knappen, die zu dieser Zeit noch zu den sportlichen Größen in der Bundesliga zählten und regelmäßig am internationalen Geschäft teilnahmen.

„Wir sind damals aus Paderborn zu Schalke gewechselt und das war ein Wechsel zwischen Tag und Nacht. In Paderborn haben wir auf einem städtischen Trainingsplatz trainiert, uns in der Hausmeisterwohnung umgezogen und hatten Angst, dass die Bälle die in der Nähe parkenden Autos beschädigen könnten. Auf Schalke habe ich erstmals erlebt, was das Wort Strahlkraft bedeutet. Wenn auf einmal Tausende Fans zu einem normalen Training kommen, dann weißt du, dass dieser Verein kein gewöhnlicher Verein ist. Für mich gehören die Schalke-Fans stimmungstechnisch zu den besten Fans, die wir hier in Deutschland haben. Das ist ein Fakt.“

Henzler traf dabei auch zum ersten Mal auf Ralf Fährmann. Eine Zusammenarbeit, die von Erfolg gekrönt sein sollte. Unter seinem neuen Torwarttrainer entwickelt sich Fährmann zu einem der stärksten Keeper der Bundesliga. „Ralf hat mich von Beginn an beeindruckt. Wenn ein 1,97-m-Hüne auf dich zukommt, der entsprechende Physis mitbringt, hinterlässt das schon etwas bei dir. Was mich noch mehr an ihm beeindruckt hat, war aber die Mentalität die er besaß. Er war total ehrgeizig. In jedem Training hat er bis zum Anschlag trainiert. Jede Extraeinheit hat er freiwillig mitgemacht. Für mich hat er damals zu den Top-3-Torhütern in Deutschland gehört. Er war immer sehr nah dran an der Nationalmannschaft. Zur damaligen Zeit hätte er mindestens ein Länderspiel verdient gehabt.“

Eine Sache die Henzler an Fährmann besonders imponierte: „Wir reden immer im Zusammenhang von Torhütern über technische, fußballerische oder taktische Fähigkeiten. Für mich thront darüber jedoch die mentale Stärke. Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, nicht jeder Spieler passt zu jedem Verein. Schalke ist ein besonderer Verein, er ist Fluch und Segen zugleich. Wenn du die mentale Stärke besitzt, kannst du hier getragen werden. Wenn du Druck nicht aushalten kannst, hilft es dir nicht, wenn du der beste Fußballer im Training bist. Ralf hatte eine unfassbare mentale Stärke und hat sich auch deshalb zum absoluten Publikumsliebling entwickelt.“

Henzler und Fährmann 2023 beim FC Schalke

Henzler und Fährmann 2023 beim FC Schalke

Henzler empfahl Schalke Nübel – Wegen Ablöse „auch etwas Bauchschmerzen“

Nicht nur mit Fährmann, auch mit dem bis dato unbekannten Talent Alexander Nübel arbeitete Henzler und bereitete ihn auf das Haifischbecken Bundesliga vor. „Alex habe ich in Paderborn kennengelernt. Damals lief er komplett unter dem Radar, kein Profiverein hatte ihn auf dem Schirm. Bereits nach wenigen Trainingseinheiten wusste ich, der Junge hat das Zeug, Profi zu werden. Er hat nicht nur die rein torwarttechnischen Komponenten mitgebracht, sondern auch die fußballerischen Elemente. Ich erinnere mich an ein Trainingsspiel, bei dem Alex im Feld gespielt hat. Am Ende hieß es 4:4 – Alex erzielte dabei vier Tore für seine Mannschaft.“

So kam es, dass Henzler den jungen Nübel an S04 vermittelte. „Als ich damals zu Schalke gewechselt bin, hat mich Horst Heldt gefragt, ob ich einen talentierten Torhüter kenne. Sie hatten zu der Zeit Florian Müller von Mainz im Blick. Ich legte den Verantwortlichen dann Alex Nübel ans Herz. Tatsächlich hatte ich auch etwas Bauchschmerzen, weil man Alex für 600.000 Euro aus Paderborn loseiste und ich das tatsächlich als viel Geld für einen jungen Torhüter empfand. Er hatte damals schon ein extrem großes Potenzial, aber das musste sich auch erst entfalten. Beispielsweise hatte er in seiner Anfangszeit Probleme mit der Schlagweite seines Abstoßes oder war teilweise sehr nervös vor den Spielen. Wenn ich ihn heute sehe, kann ich nur sagen, dass er extrem stolz auf sich sein kann. Ich sehe einen Torhüter, der in seiner Persönlichkeit und seiner Spielweise extrem gereift ist, der eine klare Ausstrahlung hat und nicht umsonst in der deutschen Nationalmannschaft spielt. Für mich gehört er zu den besten Torhütern in Europa.“

„Der Torwarttrainer ist heute Techniker, Taktiker, Athletikcoach, Analyst, Mentor …“

Doch wie sieht der heutige Aufgabenbereich eines Torwarttrainers überhaupt aus? „Als Außenstehender denkt man fälschlicherweise, der Torwart kriegt eineinhalb Stunden lang den Ball aufs Tor geschossen und dann war es das für den Tag. Die Aufgaben sind über die letzten Jahre deutlich vielfältiger und spezifischer geworden“, erklärt Henzler. „Es werden technische, taktische, physische Elemente trainiert. Zudem kommen noch mentale und kommunikative Arbeit, Analyse, Videoarbeit und Individualisierung dazu. Kurz gesagt der Torwarttrainer ist heutzutage Techniker, Taktiker, Athletikcoach, Analyst, Mentor und fester Bestandteil im Trainerteam. Auch Dinge, wie neuroathletisches Training erhalten immer mehr eine Beachtung.“

Während viele Cheftrainer bewusst eine Distanz zu ihren Spielern aufbauen, ist es beim Torwarttrainer komplett das Gegenteil“, meint Henzler. Für ihn ist es wichtig, ein enges Vertrauensverhältnis aufzubauen. So sieht er sich auch als wichtige Vertrauens- und Bezugsperson. „Als Torwarttrainer musst du in den Kopf deiner Spieler kommen und das schaffst du nur über Vertrauen und Empathie. Vertrauen und Empathie heißt nicht, dass ich alles im Training durchwinke und alles relaxt abläuft. Es bedeutet, dass sich der Spieler öffnen kann. Wenn er zum Beispiel Stress mit seiner Freundin hat, hat das automatisch Einfluss auf seine Leistungen im Training. Entsprechend kann ich bestimmte Dinge steuern oder einschätzen.“

Seit mittlerweile 14 Jahren arbeitet Henzler mit wenigen Unterbrechungen als Torwarttrainer und konnte hautnah erleben, wie sich der Fußball und insbesondere die Anforderungen an den Torhüter verändert haben. „In erster Linie hat der Torwart eine Aufgabe, und dies ist das Verhindern von Toren. Doch das Spiel hat sich gewandelt, die Position ist die komplexeste im Spiel. Du musst als Schlussmann mittlerweile alles sein. Du musst erster Offensivspieler sein, ebenso musst du als letzter Abwehrspieler sofort eingreifen können. Dabei ist aus meiner Sicht nicht das Körperliche am anstrengendsten, sondern das Mentale. Du kannst als Torhüter oft nur reagieren und nicht agieren. Somit musst du in jedem Augenblick wach sein und das erfordert viel mentale Kraft.“

„Die Gedanken nach einem Gegentor können dich durchaus erdrücken“

Dass der Torhüter einer besonderen Drucksituation ausgesetzt ist, hängt natürlich damit zusammen, dass ein Fehler eines Schlussmanns sehr häufig zu einem Gegentor führt. Doch wie schafft man eine Strategie zum Umgang mit Fehlern zu implementieren, sodass insbesondere junge Torhüter einen Fehler als Lernchance betrachten, statt sich zu verurteilen?

„Ich rate jedem jungen Talent mit einen Mentaltrainer oder Sportpsychologen zusammenzuarbeiten“, sagt Henzler. „Die Gedanken nach einem Gegentor können dich durchaus erdrücken und verhindern, dass du deine Leistungen abrufen kannst. Es geht darum Strategien zu entwickeln, die dich zurück in die Gegenwart bringen, weil man ganz schnell dazu neigt, alles zu hinterfragen und in der Vergangenheit zu bleiben. Wenn ich das Gegentor akzeptiere, dann kann ich es auch loslassen. Druck erzeugt Gegendruck. Ich sage meinen Spielern immer: Das Gegentor ist geschehen, lasst es los und akzeptiert es. Ihr habt während der Partie noch genügend Zeit, euch auszeichnen zu können.“

Die häufige Aussage in Fußballspielen, „das war doch ein Torwartfehler“ sieht Henzler kritisch. „Ich verwende das Wort Fehler sehr selten, ich spreche eher von Beteiligung. Von einem Fehler kann man sprechen, wenn der Torhüter zu 100 Prozent schuld war. Aber wie häufig ist der Torwart allein schuld an einem Gegentor? Der Gegentreffer entsteht meistens schon an einer ganz anderen Stelle. Mir ist aufgefallen, dass die Berichterstattung mittlerweile sehr grenzwertig geworden ist. Ich finde, wir gehen in Deutschland sehr kritisch mit unseren Torhütern um. Wehe es wird ein ‚Fehler‘ gemacht, dann wird dieser ‚Fehler‘ regelrecht ausgeschlachtet. Was das mit dem Menschen macht, was das bei dem Menschen anrichtet, darüber macht sich keiner Gedanken.“

Dahingehend würde sich Henzler wünschen, „dass in diesen Expertenrunden häufiger ein ehemaliger Torwart sitzt. Erstens kann sich ein Keeper viel intensiver in die Situation hineinversetzen. Zum anderen würde ein Torwart niemals sofort sagen, dass war aber ein Torwartfehler, sondern den vermeintlichen Fehler aus verschiedensten Perspektiven analysieren – und das schafft man nicht mal so auf die Schnelle nebenbei in einem TV-Studio.“

Interview von Henrik Stadnischenko

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