Baden-Württemberg: Kritiker fordern nach IT-Fehler zu »Geisterlehrkräften« Untersuchungsausschuss

Baden-Württemberg: Kritiker fordern nach IT-Fehler zu »Geisterlehrkräften« Untersuchungsausschuss

2025 dürfte in Baden-Württemberg als das Jahr des »bildungspolitischen Super-GAUs« in die Geschichte eingehen. So nannte zumindest die Opposition einen beispiellosen Vorfall: Im Juni hatte sich herausgestellt, dass das Kultusministerium jahrelang mehr als tausend Lehrerstellen nicht besetzt hatte – unwissentlich und obwohl das Geld dafür im Haushalt eingeplant war. Grund dafür war ein IT-Fehler.

Gerhard Brand, der damalige Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), erklärte kurz darauf im SPIEGEL , er habe zuerst an einen schlechten Scherz geglaubt. »Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Wir hätten die Lehrkräfte dringend gebraucht.«

Seit diesem Montag liegt offiziell der Bericht einer Arbeitsgruppe vor, die den Skandal um die »Geisterlehrkräfte« (Landesschülerrat) aufklären sollte. Und damit sind die Gemüter alles andere als besänftigt. Der baden-württembergische Realschullehrerverband teilte mit, ihm bleibe angesichts der Ergebnisse »die Spucke weg«.

Skandal weitet sich aus

Der Bericht der Arbeitsgruppe, die den IT-Fehler im Auftrag von Finanz- und Kultusministerium untersucht hatte, zeigt unter anderem, dass die Panne größer war als ursprünglich angenommen.

Im Jahr 2015 waren rund 2480 Lehrerstellen fälschlich als besetzt ausgewiesen, teilte das Kultusministerium mit. Diese Zahl sei bis 2017 auf etwa 1880 Stellen gesunken und habe bis 2023 relativ konstant zwischen 1890 und 1980 Stellen gelegen. Für das Jahr 2024 sei keine Rekonstruktion mehr möglich, da die Daten durch eine Prüfsoftware neu aufgebaut worden seien.

Die Arbeitsgruppe konnte die Entwicklung der fehlerhaften Stellen bis ins Jahr 2015 nachvollziehen, wie das Ministerium mitteilt. Für frühere Zeiträume hätten aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsfristen keine verlässlichen Daten mehr vorgelegen. Diese seien teils nur auf veralteten Datenträgern vorhanden gewesen, zum Beispiel in veralteten Datenformaten.

»Die Fehler sind inzwischen korrigiert, die Systeme arbeiten aktuell fehlerfrei.«

Kultusministerium

Als »wahrscheinliche Hauptursache« für den Fehler hält die Arbeitsgruppe eine »Datenmigration« in den Jahren 2005/6. Damals sei das Personalverwaltungssystem umgestellt worden. Weitere Faktoren seien unter anderem tarifliche Änderungen, die manuell oder technisch in die Systeme eingearbeitet werden mussten.

Das Kultusministerium versicherte: »Die Fehler sind inzwischen korrigiert, die Systeme arbeiten aktuell fehlerfrei.« Zudem sei die Arbeitsgruppe zum Ergebnis gekommen, dass keine Gehälter an nicht existierende Personen gezahlt worden seien, erklärte ein Sprecher des Finanzministeriums.

Um ähnliche Fehler künftig zu vermeiden, empfiehlt die Arbeitsgruppe unter anderem regelmäßige Auswertungen mindestens alle sechs Monate, anlassbezogene Prüfungen der Stellenlisten sowie einen systematischen Abgleich von Stellenplan und Gehaltsdaten.

In Baden-Württemberg arbeiten insgesamt rund 140.000 Lehrkräfte in Teil- oder Vollzeit an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen. Die zunächst bekannt gewordenen 1440 unbesetzten Stellen hatte das Kultusministerium zum Beginn des neuen Schuljahres ausgeschrieben. Der größte Teil wurde mit 485 Stellen den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) zugewiesen.

»Das soll alles sein?«

Realschullehrerverband

Den Kritikern reicht all das bei Weitem nicht. Der bildungspolitische Sprecher der SPD im Landtag, Stefan Fulst-Blei, monierte, die Jahre 2005 bis 2015 seien bisher überhaupt nicht untersucht worden. »Und selbst für die Zeit ab 2015, für die dank der damals durchgeführten Digitalisierung Daten vorliegen, kann das Kultusministerium nicht erklären, wie die Geisterstellen überhaupt zustande gekommen sind und warum sie so schwanken.«

Er habe erhebliche Zweifel, dass sich ein solcher Fehler nicht wiederholen kann, erklärte der SPD-Politiker, und zwar »nicht zuletzt deshalb, weil das Kultusministerium trotz der gewaltigen Panne weiter auf das alte, fehlerhafte System setzt«.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke forderte die Einberufung eines Untersuchungsausschusses und kritisierte die Aufarbeitung des Skandals. »Die zentralen Fragen, wann, warum und wie das Problem entstanden ist, bleiben unbeantwortet«, sagte Rülke. Über diesen Punkt echauffierte sich auch der Realschullehrerverband. Er sprach von einer läppischen Aufarbeitung: »Das soll alles sein?«

Die Bildungsgewerkschaft GEW forderte als Reaktion auf den Skandal massive Investitionen ins Bildungssystem. Jeder Cent, der auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler gespart worden sei, müsse in den nächsten Jahren durch Investitionen in gute Bildung zurückgegeben werden.

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