»Being Jérôme Boateng«: Anwalt: Familie von Kasia Lenhardt ist »entsetzt« über die ARD-Doku

»Being Jérôme Boateng«: Anwalt: Familie von Kasia Lenhardt ist »entsetzt« über die ARD-Doku


Umstrittener ARD-Mehrteiler

Familie von Kasia Lenhardt laut Anwalt entsetzt über Boateng-Doku

Der ARD-Mehrteiler über den Fußballer Jérôme Boateng wird seit Wochen harsch kritisiert. Der Anwalt der Familie von Boatengs verstorbener Ex-Freundin Kasia Lenhardt nennt die Doku nun »geschmacklos« und »grausam«.

Dreiteilige Doku im BR Fernsehen: »Being Jérôme Boateng«

Dreiteilige Doku im BR Fernsehen: »Being Jérôme Boateng«


Foto: BR

Seit die ARD ihre mehrteilige Dokumentation »Being Jérôme Boateng« veröffentlicht hat, gibt es Ärger darum.

Das Format gebe einem Straftäter eine Plattform, heißt es in den Kommentaren. Es fehle die Opferperspektive. Immerhin sei Boateng wegen Körperverletzung gegen die Mutter seiner Kinder rechtskräftig verurteilt worden. Interviewte Journalistinnen distanzierten sich im Nachgang von dem Projekt. Ihnen sei die Doku anders angekündigt worden, sagten sie gegenüber dem SPIEGEL. Teilweise seien ihre Wortbeiträge, die auf die Gewaltvorwürfe gegen Jérôme Boateng hingewiesen hätten, rausgeschnitten worden. Die ARD hatte die Dokumentation zunächst verteidigt.

Nun aber gibt es neue Kritik an dem Format – aus dem familiären Umfeld von Boatengs Ex-Freundin Kasia Lenhardt. Auch Lenhardt hatte dem Fußballer Gewalt vorgeworfen. Die Ermittlungen wurden in diesem Jahr wegen eines nicht hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Lenhardt konnte sich dazu jedoch nicht mehr äußern: 2021 starb sie im Alter von 25 Jahren in Berlin durch Suizid. Der SPIEGEL hat in einem mehrteiligen Podcast über Kasia Lenhardts Fall und die Vorwürfe gegen Boateng berichtet.

Kasia Lenhardt bei einem Auftritt im Berliner KaDeWe im November 2018

Kasia Lenhardt bei einem Auftritt im Berliner KaDeWe im November 2018


Foto: Frederic Kern / Geisler-Fotopress / dpa

Zu der vor wenigen Wochen veröffentlichten Dokumentation hatte Lenhardts Umfeld bislang geschwiegen. Jetzt aber äußerte sich der Anwalt der Familie dazu.

Medienrechtler Markus Hennig veröffentlichte seine Gedanken zu »Being Jérôme Boateng« zunächst auf LinkedIn . Ende November schrieb er dort: »Die dritte Folge von ›Being Boateng‹ ist kein journalistisches Werk, sondern eine zynische Inszenierung.« Die Faktenlage, so schreibt Hennig, sei unstrittig: »Jérôme Boateng wurde wegen Körperverletzung an der Mutter seiner Kinder rechtskräftig verurteilt. Die ARD betrachtet diese frische strafrechtliche Verurteilung 2024 für die Bedeutung des ›Fußballhelden‹ und dem daher produzierten Dreiteiler jedoch offenbar als eher nebensächlich.« Der Sender stelle Boateng »neben wahren Sportlegenden« wie Michael Schumacher und Katarina Witt.

Die Grenze des Erträglichen sei endgültig überschritten worden, als das Schicksal seiner Mandantin Kasia Lenhardt instrumentalisiert worden sei. Lenhardts Tod sei als »emotionaler Drehpunkt für Boatengs Erzählung und für sein (!) vermeintliches Leid nebst Krokodilstränen missbraucht« worden, schreibt Hennig. Zudem kritisiert er die fehlende Transparenz im Hinblick auf einen Wortbeitrag der Familie Lenhardt in der Doku. Zwar seien er und die Mutter von Kasia Lenhardt im Vorfeld angefragt worden, dass der Redaktion jedoch eine »ausführliche und Boateng-kritische Rückmeldung der Familie zur Absage« vorlag, sei verschwiegen worden. In der Produktion sei lediglich von einer abgelehnten Interviewanfrage die Rede gewesen.

Anwalt Hennig: »Es bringt ihre Tochter auch nicht zurück«

Vom »Tagesspiegel«  dazu befragt, bekräftigte Hennig die Kritik an dem ARD-Format nun. Er befinde sich im engen Austausch mit Kasia Lenhardts Familie und »spreche hier auch in ihrem Namen«. Lenhardts Angehörige seien »entsetzt von der Doku«, wollten »das Ganze aber nicht adeln«, indem sie selbst das Wort ergriffen: »Die Familie ist von Beginn an dem Rat gefolgt, sich selbst nicht zum Teil der Berichterstattung zu machen. Was würde ihr das nutzen? Es bringt ihre Tochter auch nicht zurück.« Die Familie habe keinen Beitrag dazu leisten wollen, »eine Heroisierung von Herrn Boateng zu unterstützen«, so der Medienrechtler weiter.

Hennig kritisierte zudem die Darstellung Kasia Lenhardts in der Doku. Dass man Bilder aus ihrer Modelzeit genutzt habe, erzeuge »ein glamouröses Umfeld, das mit der späteren Tragik kaum vereinbar ist«. Und weiter: »Dass ausgerechnet der Mann, dessen Interview in der ›Bild‹ die anschließende Hasswelle überhaupt erst mit ausgelöst hat, noch Krokodilstränen vergießen darf, empfinde ich – gerade mit Blick auf die Familie – nicht nur als völlig inszeniert und geschmacklos, sondern als besonders grausam.«

Auf die Frage des »Tagesspiegels«, ob Anwalt Hennig die ARD mit dieser Kritik konfrontiert habe, sagt er: »Wir arbeiten daran. Wir kritisieren auch die bisherigen Reaktionen der ARD. Der Sender setzt sich mit der Kritik nicht ernsthaft auseinander. Nur zwei Tage vor der Veröffentlichung der Doku wurden die neuen Zahlen zur Gewalt gegen Frauen publik gemacht – und auch von der Tagesschau präsentiert. Welches Signal sendet das? Gewalt gegen Frauen ist schlimm, aber nicht, wenn ein Promi sie ausübt? Die ARD sollte die Doku zurückziehen.«

Auf die öffentliche Aufarbeitung des Falls Kasia Lenhardt angesprochen, gab Hennig an, diese kritisch zu betrachten. Darunter falle auch der Podcast, den der SPIEGEL im Frühjahr 2024 veröffentlichte. Durch die mediale Berichterstattung seien Details geteilt worden, die den Gerichtsprozess erschwert hätten.

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