Spricht über Anfangszeit in Bundesliga
©IMAGO
Als Arthur Chaves im Sommer 2024 zur TSG Hoffenheim wechselte, vermuteten nicht wenige eine Gefälligkeit für den eng mit dem Klub verbandelten und heute im Streit liegenden Berater Roger Wittmann. Dessen Agentur Rogon hat beim portugiesischen Zweitligisten Académico Viseu die Hände im Spiel, die Ablöse von 6 Millionen Euro ließ die Kraichgauer Fans noch mehr stutzen. Doch der Innenverteidiger strafte diese Ansicht schnell Lügen und entwickelte sich zu einem Zukunftsversprechen. Ein Faktor dafür ist in Chaves Augen das Umfeld in der Bundesliga und in Hoffenheim.
„Die Deutschen mögen den brasilianischen Fußball sehr. Vielleicht mögen sie ihn sogar mehr als die Brasilianer“, sagt Chaves grinsend im Gespräch mit Transfermarkt. „Vinicius Junior wird in Brasilien leider sehr kritisiert, aber die Deutschen mögen ihn sehr. Die brasilianische Nationalmannschaft wird sehr respektiert.“ Auch in Hoffenheim stehen die Südamerikaner hoch im Kurs. Abgesehen von Deutschland stellte keine andere Nation mehr TSG-Profis.
„Die Fans von Hoffenheim mögen Brasilianer sehr. Sie haben eine brasilianische Flagge bei den Spielen dabei und zeigen ihnen große Zuneigung. Ich finde das sehr schön. Die Geschichte der Brasilianer hier ist sehr schön. Joelinton, Luiz Gustavo, Roberto Firmino, Carlos Eduardo. Ich möchte auch Teil dieser Geschichte sein“, erklärt Chaves, der seit dem Sommer mit Bernardo (30) einen Landsmann an seiner Seite hat. Chaves würde gerne in die Fußstapfen seiner namhaften Vorgänger treten, die die TSG geprägt haben und als Sprungbrett für eine große Karriere nutzten. Zunächst hatte er jedoch mit einigen Herausforderungen zu kämpfen.
Mehr als einen Monat musste der Abwehrspieler auf sein Bundesliga-Debüt warten, zunächst ging es in die Regionalliga zur TSG-Reserve. „Ich habe eine Weile gebraucht, um mich an den deutschen Fußball zu gewöhnen. Ich konnte mit dem Trainingsrhythmus nicht mithalten. Ich brauchte Zeit, um mich an das Tempo zu gewöhnen und Einsatzchancen zu bekommen. In Deutschland wird ganz anders gespielt. Es ist schneller und aggressiver. Die Schiedsrichter lassen das Spiel laufen, es gibt nicht bei jedem Foul eine gelbe Karte. Aber jetzt, nach einem Jahr, fühle ich mich schon sehr wohl. Ich bin ein neuer Spieler und viel besser vorbereitet“, erzählt Chaves, der nicht nur fließend Englisch spricht, sondern auch Deutsch lernt.
Aus dem Hoffenheimer Team ist der 24-Jährige seitdem kaum wegzudenken, 39 Partien (zwei Tore) absolvierte er bislang. Seinen Marktwert schraubte er von 1,2 Mio. auf 5 Mio. Euro nach oben. Längst gilt er als heiße Aktie für die Zukunft. Nicht zuletzt seit Berater Wittmann im vergangenen Winter öffentlich ein millionenschweres Angebot aus England in dem Raum stellte. Im Sommer verlängerte Chaves jedoch bis 2029 bei der TSG, auch wenn über verankerte Ausstiegsszenarien spekuliert wird. In Hoffenheim habe er die tägliche Arbeit im Training noch mal ganz anders kennengelernt, betont Chaves.
Chaves lernt bei TSG Hoffenheim ganz neue Trainingsarbeit kennen
„Die Methodik des deutschen Fußballs ist sehr interessant. Das Training ist wie ein Spiel. Es sind sehr lange, sehr intensive Trainingseinheiten“, beschreibt er. Es gebe Individualtrainer für jeden Bereich. „Wir machen spezifische Übungen, um die Fehler in der Defensive zu korrigieren“, so Chaves. „Ich finde das sehr gut, denn der Cheftrainer kümmert sich sehr um die Mannschaft als Ganzes, sodass er nicht immer Zeit für spezifische Aufgaben oder persönliche Gespräche hat. Das übernimmt der Defensivtrainer. Er kommt mit Videos, ruft mich in sein Büro und zeigt mir alles, was ich richtig und falsch gemacht habe. Alle erhalten viel Aufmerksamkeit, um sich weiterzuentwickeln. Das ist sehr wichtig.“
Mit der TSG ist Chaves besser in die Saison gekommen als im Vorjahr. Nach dem 7. Spieltag steht Platz acht statt 14 zu Buche. „Die deutsche Meisterschaft ist sehr umkämpft, man weiß nie, was passieren wird. Wenn man Bayern München, Dortmund und Leverkusen ausklammert, weiß man nicht, was passieren wird, wie die Mannschaften in der Meisterschaft abschneiden werden. Letztes Jahr kämpfte Borussia Mönchengladbach noch um einen Platz in den europäischen Wettbewerben, aber dieses Jahr liegen sie auf dem letzten Platz. Jedes Spiel ist sehr kompliziert. Wenn man nicht gut in Form ist, wird man überrollt“, bilanziert Chaves. „Ich bin begeistert vom Niveau der Bundesliga.“
Als Gegner angetan haben es ihm besonders zwei Stürmer: Harry Kane (32) und Nick Woltemade (23). „Harry Kane ist der Wahnsinn. Er ist außergewöhnlich und einer der besten Torjäger der Welt. Was ich an ihm am beeindruckendsten finde, ist seine Beweglichkeit. Er geht zum Verteidiger, organisiert das Spiel, findet einen freien Mitspieler und spielt einen Pass. Er ist ein kreativer Mittelstürmer. Ein Spieler, der sowohl als Neun als auch auf der Zehn spielen kann. Er hat eine Spielintelligenz, die einen großen Unterschied macht. Er ist immer gut positioniert und weiß, wohin der Ball geht. Wenn man nicht aufpasst, schießt er ein Tor.“
Neben Kane: Woltemade überraschte Hoffenheims Chaves am meisten
Woltemade habe ihn jedoch am meisten überrascht. „Er wurde hier nicht viel erwähnt, niemand kannte ihn. Aber er ist ganz anders. Er ist größer als ich, läuft etwas seltsam, ist etwas ungeschickt, scheint nicht so viel Qualität zu haben, aber wenn der Ball bei ihm landet, ist es sehr schwer, ihn ihm abzunehmen. Schauen Sie sich die Tore an, die er letztes Jahr geschossen hat. Er dribbelte, zwei-, dreimal und schoss dann. Als Stuttgart schlecht spielte, schlug der Torwart den Abstoß lang und er hielt ihn. Das kann man nicht vorhersehen. Er sprang hoch, nahm den Ball mit der Brust an und hatte die Kraft, ihn zu halten. Er ist ein sehr kompletter Spieler, auf Premier-League-Niveau“, lautet das Fazit zu Newcastles 75 Mio. Euro teuren Einkauf, der für die Engländer in acht Partien schon fünfmal traf.
Die Bundesliga soll auch Chaves ins Rampenlicht stellen, nicht nur bei europäischen Top-Klubs, sondern auch bei der Seleção. Bislang reichte es vor seinem Wechsel zu Hoffenheim für eine Nominierung für die U23, die die Qualifikation für die Olympischen Spiele jedoch überraschend verpasste, obwohl hochkarätige Namen wie Endrick (19), Andrey Santos (21), Marquinhos (22) oder Marlon Gomes (21) im Kader standen.
„Wir hatten individuell gesehen eine sehr gute Mannschaft, aber Fußball ist kein Einzelsport. Die anderen Mannschaften waren weniger gut, aber sie waren als Team besser. Leider hat es nicht geklappt“, bedauert Chaves die einzigartige Möglichkeit. „Das ist eine Last, die ich in meiner Karriere mit mir herumtrage. Ich weiß, dass ich kein Star wie Endrick und Andrey war, aber ich war dabei, ich war Teil der Gruppe. Ich habe alle Spiele bestritten. Deshalb trage ich diese Last, dass Brasilien sich nicht qualifiziert hat. So ist Fußball eben. Nicht immer laufen die Dinge so, wie wir es uns wünschen.“
Trotz der durchwachsenen Qualifikation traut Chaves der Seleção bei der Weltmeisterschaft im kommenden Jahr eine sehr gute Rolle zu – nicht zuletzt aufgrund des Engagement von Trainerfuchs Carlo Ancelotti. „Die Deutschen waren von der Verpflichtung Ancelottis begeistert, aber ich glaube, sie hatten auch Angst“, sagt Chaves lachend. „Ancelotti ist Ancelotti. Ich muss nicht viel über ihn sagen. Jeder respektiert seine Geschichte im Fußball. Wenn Brasilien und Deutschland gegeneinander spielen, wird Brasilien sehr respektiert, wie es immer sein sollte.“ Auch nach dem blamablen 1:7 im WM-Halbfinale 2014 im eigenen Land, das Chaves lieber unerwähnt lässt.
Originalinterview auf Portugiesisch von Thiago Rabelo