Ukraine: Belgien blockiert Finanzhilfen – Treffen mit Nato-Chef Rutte

Ukraine: Belgien blockiert Finanzhilfen – Treffen mit Nato-Chef Rutte


Finanzhilfen für die Ukraine





Aufstand der Belgier

Das kleine Belgien wehrt sich derzeit gegen Finanzhilfen für die Ukraine, die mithilfe russischen Vermögens gestemmt werden sollen. Brüssel geht es dabei um den eigenen Haushalt. Und um das Verhältnis zu China und den USA.

Belgischer Premierminister Bart De Wever

Belgischer Premierminister Bart De Wever


Foto:

Geert Vanden Wijngaert / AP / dpa


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Der Widerstand in der EU kommt in diesen Tagen nicht wie so oft aus Budapest, Warschau oder Bratislava, er kommt aus Brüssel selbst. Nicht aus der EU-Kommission, sondern aus der Hunderte Meter entfernten Wetstraat 16, dem Sitz des belgischen Premierministers Bart De Wever.

Der 54-jährige Regierungschef von der konservativen Partei Neu-Flämische Allianz fiel auf der europäischen Bühne bisher nur durch seine extravaganten Anzüge auf und blieb ansonsten harmonisch. Doch seit einigen Tagen probt der Mann den Aufstand. Ein Großteil der Europäer will die 140 Milliarden Euro des eingefrorenen russischen Staatsvermögens nutzen und es der Ukraine über Bande zugutekommen lassen. Dem vom Krieg gebeutelten Land geht absehbar das Geld aus, die Europäer suchen nach einer Lösung. Schon im zweiten Quartal 2026 ist die Ukraine zahlungsunfähig, so die EU-interne Prognose.

Doch beim Europäischen Rat gab es in der vergangenen Woche keine Einigung für eine Lösung, was vorrangig an der Blockade Belgiens lag. Warum sind die Belgier so vehement dagegen? Und welche Alternativen gibt es?

Trick der EU

Die Feinheiten für das Konstrukt mit den eingefrorenen Geldern werden weiter von der Kommission ausgearbeitet, aber eine Stoßrichtung für die Lösung hat man gefunden.

Bei dem Geld handelt es sich um russisches Staatsvermögen, das einst in Wertpapieren im Westen angelegt wurde – etwa in deutschen Staatsanleihen. Dieses vielfach von den Ländern längst zurückgezahlte Geld gehört dem russischen Staat und liegt hauptsächlich bei der privaten Abwicklungsgesellschaft Euroclear, einem Unternehmen mit Sitz in Belgien.

Um das Geld zu nutzen, will die EU-Kommission einen Trick anwenden: Die Milliarden werden einfach treuhänderisch wieder angelegt, in diesem Fall in spezielle Anleihen der Europäischen Union. Diese verfügt dann über 140 Milliarden Euro, die sie wiederum an die Ukraine verleiht. Wenn der Krieg zu Ende ist, soll diese Schuld beim russischen Staat mit Reparationsleistungen für die Verwüstung durch den Angriffskrieg verrechnet werden.

Die belgische Regierung fürchtet, irgendwann haftbar gemacht zu werden für die im Krieg versenkten Milliarden, die der belgische Staat treuhänderisch verwaltet. Zudem sorgen sich die Belgier um ihren Finanzstandort. Auch mit den Chinesen oder den USA könnte es irgendwann Konflikte geben. Die könnten damit rechnen, dass ihr Geld ebenso konfisziert wird und legen es deshalb womöglich nicht mehr über Euroclear an.

Hinzu kommt: Das kleine Land hat selbst klamme Kassen. In den vergangenen Wochen demonstrierten Tausende Staatsmitarbeiter auf der Straße – darunter sogar Soldaten; regelmäßig gibt es Warnstreiks beim öffentlichen Nahverkehr. Obwohl kaum ein Land in Europa derart hohe Steuern von seinen Einwohnern fordert, klafft eine gigantische Lücke im Staatshaushalt. Premierminister De Wever möchte deswegen zehn Milliarden Euro in seinem Haushalt einsparen, was zu Verwerfungen in seiner Koalition führt.

In der angespannten innenpolitischen Lage auch noch ein Wagnis über 140 Milliarden Euro einzugehen, ist für den Premierminister in seiner Bevölkerung schwer vermittelbar. Wohl auch deswegen gibt er den scharfen Hund gegenüber den anderen EU-Regierungschefs.

Belgischer Premier De Wever, Kanzler Merz

Belgischer Premier De Wever, Kanzler Merz


Foto: Bernd Elmenthaler / IMAGO

Zuletzt überschlugen sich De Wevers Vorschläge. So will er von allen EU-Ländern eine gesonderte Garantie für den Fall, dass der belgische Staat das Geld an Russland zurückzahlen müssen. Er will sogar die doppelte Summe für diese Garantien für den Fall von Schadensersatzforderungen. Zudem will er einen Hilfsmechanismus für belgische Unternehmen, falls Russland sich mit Gegenmaßnahmen an diesen rächen sollte. Länder wie Frankreich, die es schon jetzt schwer haben, noch weitere Staatsschulden aufzunehmen, sind skeptisch, wie sich diese Garantien auf den Finanzmärkten auswirken.

Keine Alternative

Von Experten in der Kommission werden diese Argumente nicht geteilt. Da heißt es, die Finanzmärkte hätten das ohnehin schon eingepreist, weil seit Monaten klar sei, dass die EU das Geld nutzen wolle. Zudem sei die ganze Welt in einer unsicheren Lage. Im internationalen Vergleich seien die Europäer weiterhin ein sicherer Hafen für Anleger – auch wenn die eingefrorenen Gelder genutzt würden.

Zur Sicherheit werden nun aber als Alternative gemeinsame EU-Schulden geprüft, die man der Ukraine geben könnte. Das lehnen wiederum Deutschland und viele andere Länder aus dem Norden ab.

Rasmus Andresen, grüner EU-Abgeordneter und Haushaltspolitiker, hält noch andere Lösungen für denkbar. »Gemeinsame Schulden können genauso ein Mittel sein wie eine Abgabe für große Rüstungskonzerne«, schlägt er vor.

»EU-Schulden für die Ukraine sind eigentlich noch schlechter für die Länder«, sagte der SPD-EU-Abgeordnete und Rechtsexperte René Repasi dem SPIEGEL. Bei den eingefrorenen Geldern gebe es schließlich den Vorteil, dass sie gegengerechnet werden könnten mit möglichen, künftigen Reparationszahlungen von Russland, so der Sozialdemokrat, eigentlich gebe es zu den eingefrorenen Geldern keine Alternative. »Die dritte Option wäre wie die USA die Hilfszahlungen an die Ukraine einzustellen«, sagt Repasi. Und das sei eigentlich keine Lösung für die Europäer.

Am Dienstag besuchte der Nato-Generalsekretär Mark Rutte den belgischen Premierminister. Von dem Termin gibt es nur Fotos, wie Rutte mit strahlendem Gesicht auf De Wever einredet. Weitere Spitzenpolitiker aus der EU werden versuchen, den Belgier in den kommenden Wochen umzustimmen. Beim EU-Gipfel im Dezember soll die Lösung für die Ukraine stehen.

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