Chaos auf der Baustelle

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Dieser Artikel erschien in erster Fassung am 03.11.2025 und wurde nach der Freistellung Piolis am Dienstag aktualisiert.
Die Rückkehr von Milans früherem Meistercoach Stefano Pioli zur ACF Fiorentina hatte im Sommer große Hoffnungen hervorgerufen, nun ist das Kapitel beim kommenden Gegner vom FSV Mainz 05 (Donnerstag, 18:45 Uhr/RTL+) schon wieder beendet. Pioli wurde von seinen Aufgaben entbunden, wie der Klub am Dienstag bekannt gab. Ein möglicher Nachfolger deutet sich an. Vor dem Duell mit den Nullfünfern in der Conference League liegt bei den Lilien einiges im Argen.
Es sollte der nächste Schritt nach drei verlorenen Endspielen in Coppa Italia und Conference League werden, auf die erste Champions-League-Teilnahme und die beste Serie-A-Platzierung seit dem vierten Platz vor zehn Jahren wurde gehofft. Die zweite Amtszeit des früheren Viola-Profis Pioli endet nun aber schon nach 14 Partien. Nach der 0:1-Niederlage gegen Lecce am Sonntag gab es auf der Baustelle des Artemio-Franchi-Stadions ein gellendes Pfeifkonzert. Zunächst übernimmt vorübergehend Nachwuchscoach Daniele Galloppa. Der gebürtige Stuttgarter Roberto D’Aversa gilt als Favorit auf eine Lösung bis Saisonende. Der ebenfalls gehandelte Paolo Vanoli ist Berichten zufolge aus dem Rennen.
Update 17:10 Uhr: Laut Reporter Matteo Moretto wurde die Option D’Aversa mittlerweile verworfen und Vanoli ist wieder im Rennen. Wunsch des Vereins könnte aber auch eine Rückkehr von Raffaele Palladino sein.
Berichten zufolge hatte eine Krisensitzung der Geschäftsführung in der Nacht von Sonntag auf Montag die Entscheidung ergeben, dass eine Trennung von Pioli unausweichlich sei. Vier Punkte aus zehn Serie-A-Spielen und kein Sieg bedeuten den schlechtesten Saisonstart der Vereinsgeschichte. Es ging zunächst noch darum, eine finanziell tragbare Lösung für die Trennung zu finden, denn: Der im Sommer bis 2028 geschlossene Vertrag bringt dem 60-Jährigen Berichten zufolge 5,5 Millionen Euro brutto pro Jahr ein. Aus der Klubmitteilung vom Dienstag geht nicht hervor, ob eine Beendigung des Vertrags vom Klub um Besitzer Rocco Commisso erreicht wurde. Bei dem 75-Jährigen beginnt die lange Liste der Probleme in Florenz.
Florenz-Chef nicht vor Ort, Sportdirektor zurückgetreten
Commisso, seit 2019 Patron der Toskaner, hält sich seit Monaten in den USA auf. Nach dem 3:0 bei Rapid Wien am 23. Oktober soll er eine Botschaft voller Floskeln an die Mannschaft geschickt haben, welche die bedrohliche Lage in der Liga nicht adressiert hat. Vor Ort in Florenz fehlt es an Führung, nun umso mehr. Der Architekt des Kaders, Daniele Pradè, hatte nach dem 0:3 gegen Inter unter der Woche das Spiel gegen Lecce als überlebenswichtig bezeichnet. Am Samstag trat der 58-Jährige, offiziell einvernehmlich, von seinem Posten zurück.
Neben der Trainersuche muss also auch ein neuer Sportchef gefunden werden. Der langjährige Medienchef Alessandro Ferrari, seit 2024 Geschäftsführer, und Pradès Assistent Roberto Goretti leiten den Verein in Abwesenheit Commissos vorerst. Nach dem Willen der Fans könnten sie alle gehen. Am Wochenende waren in der Stadt von der Curva Fiesole, dem harten Kern der AC-Fans, unterzeichnete Banner in der Stadt aufgetaucht. Die Ultras kritisierten darin ausnahmslos alle: Klubführung, Trainer und Mannschaft. Auch die Stadt Florenz selbst geriet unter Beschuss. Hintergrund ist der nur schleppend vorankommende Umbau des Artemio Franchi, das zurzeit nur zu rund 50 Prozent ausgelastet werden kann.
Probleme schon bei Milan: Woran es bei Pioli und Florenz hakte
Die Verunsicherung, die das Chaos an allen Fronten verursacht hat, war der Mannschaft in den vergangenen Wochen deutlich anzumerken. Von der guten Entwicklung unter den Pioli-Vorgängern Raffaele Palladino, der den Verein im Sommer im Streit mit Pradè über unterschiedliche Vorstellungen verließ, und Vincenzo Italiano ist auf dem Platz kaum noch etwas übrig geblieben. Das Gegentor gegen Lecce war bezeichnend: Mittelfeldtalent Cher Ndour (21) verlor in der Vorwärtsbewegung den Ball, und Medon Berisha musste ungedeckt am langen Pfosten nur noch einschieben, nachdem auch Flankengeber Tete Morente schon nicht angegriffen worden war.
Pioli hat es nicht geschafft, der Mannschaft um Robin Gosens (31, derzeit verletzt) und Edin Džeko (39) die Werte und taktischen Grundprinzipien zu vermitteln, die ihn bei Milan zwischen 2019 und 2024 zum Publikumsliebling werden ließen. Wobei es in seiner letzten Saison bei den Rossoneri schon klar wurde, dass der Coach es selbst verpasst hatte, sich weiterzuentwickeln. Hohe Intensität, Dynamik und variable Positionierungen hatten Pioli bei Milan zunächst wie einen Revolutionär aussehen lassen. Stück für Stück ging die Balance zwischen Abwehr und Mittelfeld aber verloren. Die hohe Defensivlinie ließ sich immer leichter überspielen.
In seinem Jahr in Saudi-Arabien bei Al-Nassr mit Cristiano Ronaldo hat es Pioli nicht geschafft, eine Lösung für diese Probleme zu finden. Mit 16 Gegentoren stellt die Fiorentina die geteilt schlechteste Defensive der Serie A, unter Palladino war es noch die sechstbeste. Für sein Lieblingssystem, das 4-2-3-1, fehlten im Kader der Viola die nötigen offensiven Flügelspieler, im deshalb gewählten 3-5-2 kam aber kaum Durchschlagskraft im Angriff zustande. Top-Torjäger Moise Kean (25) hatte im Vorjahr noch seine beste Saison gespielt und 19 Serie-A-Treffer erzielt. Diese Saison kommt er erst auf zwei, Džeko wartet in der Liga immer noch und der für 25 Mio. Euro verpflichtete Roberto Piccoli (24) ist nur Joker.
Der Name Palladino ist in Florenz seit Wochen wieder fast allgegenwärtig. Pioli, der bei Milan auch einen guten Ruf für sein Verhältnis zur Mannschaft hatte, wird auf vereinsnahen Blogs vorgeworfen, keine Nähe zum Team aufgebaut zu haben, während der 41 Jahre alte Vorgänger den Spielern fast wie ein großer Bruder gewesen sei. Er hatte das Team im Mai mit der Conference-League-Teilnahme auf Platz sechs abgegeben. Anfang November nun geht es ohne Sieg und auf Platz 19 bei der Fiorentina nicht mehr um die großen Träume und den Europacup, sondern vornehmlich um den Klassenerhalt.



