Nur ein Aufsteiger startete besser

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Zwei Spielzeiten in Folge hatten die Aufsteiger in der Premier League keine Chance. Ob FC Burnley, Luton Town, Sheffield United, Leicester City, Ipswich Town oder FC Southampton: Sechs Versuche, sechsmal klar gescheitert. Dass soll sich in der neuen Saison im Sinne des Wettbewerbs ändern und die größte Hoffnung weckt der AFC Sunderland. Besonders in den Fokus rückt dabei Neuzugang Granit Xhaka (33).
„Die ersten Anzeichen sind vielversprechend“, sagt Benjamin Littlemore, Content Manager UK bei Transfermarkt. „Sunderland ist auf Erfolgskurs.“ Gemeint ist der Fakt, dass die Black Cats den zweitbesten Saisonstart eines Aufsteigers in der Premier League hingelegt haben. Nach sechs Spielen stehen elf Punkte zu Buche, nur West Ham United war vor 20 Jahren mit 13 Zählern besser. Dabei vollzog Sunderland im Sommer einen Umbruch, der es in sich hatte.
„Die Mannschaft ist praktisch komplett neu. Niemand hatte wirklich damit gerechnet, dass Sunderland in der letzten Saison aufsteigen würde, daher war der Kader nicht auf die Premier League vorbereitet“, erklärt Littlemore. Kaum verwunderlich also, dass der Klub aus der Hafenstadt im Nordosten Englands Geld in die Hand nahm – viel Geld. Knapp 188 Millionen Euro flossen in mehr als ein Dutzend neue Spieler. Nie zuvor investierte weltweit ein Aufsteiger in einer Transferperiode mehr, Nottinghams Rekord aus der gesamten Saison 2022/23 von fast 200 Mio. Euro wackelt im Winter ebenfalls bedenklich.
Forest war auch der jüngste Gegner, der die überraschende Frühform des Aufsteigers zu spüren bekam. Beim 1:0-Sieg beim Europa-League-Teilnehmer, dessen Kaderwert fast doppelt so hoch ist wie Sunderlands, standen sieben Neuzugänge in der Startelf der Black Cats plus Enzo Le Fée, der nach einer Leihe fest verpflichtet wurde. Obwohl Nottingham mehr vom Spiel hatte und auch mehr Torgefahr ausstrahlte, waren es am Ende zwei Neuzugänge, die Sunderland jubeln ließen.
In der 38. Minute legte der Ex-Leverkusener Xhaka per Freistoß mustergültig auf den ehemaligen Herthaner Verteidiger Omar Alderete (28) auf, der einnickte. „Nottingham war besser, aber wir hatten einen klaren Plan und eine herausragende Mentalität“, erklärte Xhaka, der sich am Samstag zu seinem 33. Geburtstag so selbst beschenkte. Der Schweizer bekam von Trainer Régis Le Bris nach seiner Verpflichtung direkt die Kapitänsbinde übertragen und scheint das perfekte Puzzleteil für die Mannschaft zu sein.
Sunderland-Neuzugang Xhaka als bester Transfer gefeiert
Weder Alexander Isak (26) noch Florian Wirtz (22), Hugo Ekitiké (23) oder Viktor Gyökeres (27): In England wird Xhaka als bester Transfer des Sommers gefeiert. Der Routinier organisiert aus der Mittelfeldzentrale Sunderlands neu zusammengewürfelte Mannschaft, überzeugt mit seiner Passquote sowie Zweikampfstärke und steuerte schon drei Vorlagen bei. Dabei kann er sich auch auf Nebenmann Noah Sadiki (20) verlassen, der für ihn einen Teil der Laufarbeit übernimmt.
„Er ist bisher der Neuzugang der Saison“, schrieb etwa „Sky Sports“-Journalist Adam Bate. Xhaka könne das Spieltempo beinahe beliebig variieren und diktieren. Seine Führungsqualitäten würden andere Spieler besser machen. „Sie haben viele talentierte junge Spieler verpflichtet, aber für mich ist Granit Xhaka der wichtigste Neuzugang“, sagt auch Littlemore. „Er wurde sofort zum Kapitän ernannt und der Ehrgeiz, der Antrieb und die Erfahrung des Schweizer Nationalspielers haben maßgeblich zum guten Saisonstart der Black Cats beigetragen.“
Ein Meinungsbild, das auch Trainer Le Bris teilt: „Er ist sehr gut am Ball, er ist wirklich clever, er weiß, wie man verschiedene Situationen in Echtzeit meistert, und er ist aufgrund seiner Führungsqualitäten sehr wichtig. Ich glaube, er ist ein zukünftiger Trainer. Wir müssen ihn einsetzen. Er ist für eine junge Mannschaft wie unsere sehr wichtig.“ Xhaka scheint mal wieder in einem Team Grenzen zu verschieben. So wie vor zwei Jahren als Neuzugang bei Bayer Leverkusen, als die Werkself nicht nur erstmals Meister, sondern Doublesieger wurde und ins Europa-League-Finale einzog.
Aber nicht nur innerhalb der Mannschaft ist Xhaka schnell angekommen, auch bei den Fans steht der Schweizer schon hoch in der Gunst. Als nach dem zweiten Heimspiel gegen den FC Brentford (2:1) der Sunderland-Klassiker „Wise Men Say“ erklang, sang Xhaka lautstark mit – viel mehr Identifikation nach so kurzer Zeit geht für die Fans kaum. Der Routinier verkörpert zudem, was die Anhänger erwarten: Zusammenhalt, Hingabe und Kampf.
Sunderland setzt auf Zusammenhalt, Hingabe und Kampf
Die Arbeiterstadt Sunderland kämpft mit hohenr Arbeitslosigkeit und Armut. Der AFC ist nach dem Niedergang der Werften und dem Ende der Zechen zum Herz der Region aufgestiegen, was nicht zuletzt auch die Netflix-Doku „Sunderland ‚til I Die“ weltweit aufzeigen konnte. Es sind die Werte, die auch Trainer Le Bris wichtig sind. Der Franzose, der im Sommer 2024 übernahm und in 58 Partien im Schnitt 1,62 Punkte holte, lobte den Zusammenhalt und die Bereitschaft seines Teams, bis zum Ende zu kämpfen. Dreimal geriet Sunderland in der Premier League in Rückstand, zweimal nahmen die Black Cats noch Punkte mit.
Wer sich nicht voll für die Mannschaft einsetzt, hat keinen Platz im Kader.
„Das ist sehr wichtig. Der Zusammenhalt ist unverzichtbar. Wer sich nicht voll für die Mannschaft einsetzt, hat keinen Platz im Kader. Das wirkt auch jetzt noch ansteckend. Ich finde, wir haben mit den neuen Spielern eine sehr gute Verstärkung bekommen, da ihre Persönlichkeiten sehr gut zu unserer Mannschaft passen. Sie arbeiten hart, auch wenn sie auf der Bank sitzen, sie können eingewechselt werden und geben dann ihre ganze Energie, um der Mannschaft zu helfen, und das war auch heute Abend wieder der Fall“, sagte er nach dem Erfolg in Nottingham.
Dass Sunderland auf der anderen Seite nicht mit Hurra-Fußball besticht, liegt quasi auf der Hand. Le Bris setzt auf Spielkontrolle, nach sechs Partien steht gerade mal ein Torverhältnis von 7:4 zu Buche. Der 49-Jährige legt Wert auf Stabilität und Kontinuität. Als Linksverteidiger Reinildo Mandava (31) für das Nottingham-Spiel rotgesperrt ausfiel und die Möglichkeit einer Dreierkette diskutiert wurde, blieb Le Bris bei seiner bevorzugten Variante und setzte lieber auf den zuvor kaum zum Einsatz gekommenen Arthur Masuaku (31). Das etablierte Abwehrduo im Zentrum aus Alderete und Ex-Bundesliga-Profi Nordi Mukiele (27) sollte nicht verändert werden – die richtige Wahl, wie sich am Ende erwies.
„Nach nur sechs Spielen liegt Sunderland bereits nur einen Zähler hinter der Punktzahl, die Southampton in der gesamten letzten Saison erreicht hat. Ich denke, sie haben alles, um den Abstieg zu vermeiden, was gut für die Premier League ist“, bilanziert TM-Experte Littlemore. Am Samstag (16 Uhr) will Sunderland beim weiter kriselnden Manchester United die nächsten Punkte auf dem Weg zum Ziel Klassenerhalt einfahren. Sollten drei Punkte herausspringen, würden die Black Cats mit West Ham in Sachen bester Saisonstart eines Aufsteigers nach Punkten gleichziehen.
„Es ist schwer, in dieser Liga Spiele zu gewinnen. Die Grundlagen, die wir gemeinsam schaffen, sind jetzt für alle Jungs klar. Selbst wenn wir so arbeiten, werden wir nicht alle Spiele gewinnen. Das war in Burnley der Fall“, unterstrich Le Bris aber auch. Ausgerechnet gegen den Mitaufsteiger verloren die Black Cats die bislang einzige Partie (0:2). „Aber wir haben gut gespielt, wir haben bei Crystal Palace unentschieden gespielt und wir haben hier (Nottingham, d Red.) das gleiche Spiel gemacht. Wir wollen uns schrittweise verbessern, zum Beispiel besser mit dem Ball umgehen. Aber wir sind schwer zu schlagen.“




