Austrias Top-Scorer im Interview

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Johannes Eggestein galt einst als vielversprechendes Sturm-Talent, führte den FC St. Pauli in die Bundesliga und geht nun für Austria Wien auf Torejagd. Im Gespräch mit Transfermarkt blickt der 27 Jahre alte Angreifer auf das Ende seiner Zeit in Hamburg, die turbulente Anfangszeit in Wien und den schwierigen Übergang vom Jugend- in den Seniorenbereich. Außerdem zeigt er Weitsicht, was seinen Werdegang nach der Karriere angeht.
Kurz nach dem Gespräch mit Transfermarkt steuerte Eggestein einen Treffer und eine Vorlage beim 3:1 der Austria gegen Meister Sturm Graz bei. Es waren seine Torbeteiligungen zehn und elf im 17. Ligaspiel – die meisten in seiner Mannschaft. Dabei war der Start alles andere als einfach, denn Eggestein wechselte erst Ende Juli nach Wien und verpasste weite Teile der Vorbereitung. „Es war ein Kaltstart für mich, weil ich die Vorbereitung nicht mitgemacht habe, mich individuell fit halten musste und zu den ersten Spielen zur Mannschaft gestoßen bin. Ab der ersten Länderspielpause lief es für mich etwas besser, weil ich ein Gefühl für den Verein und die Mitspieler entwickeln konnte. Mittlerweile fühle ich mich wirklich angekommen, auch sportlich“, lautet sein Zwischenfazit.
Im Sommer verließ Eggestein den FC St. Pauli, wo er in drei Jahren an 33 Treffern in 85 Partien beteiligt war und den Aufstieg in die Bundesliga feierte. „Die Verantwortlichen wollten die Spielphilosophie ändern und da mein Vertrag ausgelaufen ist, war es die einfachste Option, getrennte Wege zu gehen. Ich hatte eine unfassbar schöne Zeit beim St. Pauli. Ich hatte immer das Gefühl, dass nicht nur der Sportler, sondern auch der Mensch in diesem Verein im Vordergrund steht. Das habe ich sehr geschätzt und deshalb war es auch schmerzhaft, St. Pauli zu verlassen. Auf der anderen Seite hatte ich aber auch das Gefühl, dass ich nicht mehr die sportliche Rolle spielen werde wie in den Jahren davor.“ In der vergangenen Saison war der ehemalige Junioren-Nationalspieler einer der Leistungsträger und kam auf zehn Torbeteiligungen – nur Morgan Guilavogui sammelte mehr. Dennoch folgte die Trennung.
„Ich fand den Verein Austria Wien direkt interessant. Die Verantwortlichen haben mir klar aufgezeigt, welche Rolle ich innerhalb des Vereins und der Mannschaft übernehmen kann. Auch hier hatte ich das Gefühl, dass sie mich als Mensch und Sportler sehen und nicht nur auf Scoutingberichte und meine bisherigen Erfahrungen vertrauen. Austria ist ein großer und spannender Traditionsverein“, erklärt Eggestein seine Entscheidung pro Austria Wien.
Eggestein: „Wurde geholt, um Verantwortung zu übernehmen“
Eggestein berichtet, dass er bei der Austria gut aufgenommen wurde und sich sowohl in der Stadt als auch im Verein wohlfühlt. Dabei hat er turbulente erste Monate hinter sich. Mit Sportdirektor Manuel Ortlechner und Sportvorstand Jürgen Werner haben zwei wichtige Entscheidungsträger den Verein verlassen. „Wir als Mannschaft fahren gut damit, uns auf unsere Leistungen zu fokussieren und bei den Dingen bleiben, die wir beeinflussen können – dazu zählt nicht die Arbeit von Sportdirektoren und Vorständen“, meint Eggestein. „Im Fußball haben vor allem die sportlichen Entscheidungsträger Einfluss auf die Mannschaft, die tagtäglich mit ihr arbeiten. Dazu zählen alle Personen aus dem Trainerteam, denn wir tauschen uns jeden Tag mit ihnen aus.“
Mit einem Marktwert von 1,8 Millionen Euro ist Eggestein nach Abubakr Barry der wertvollste Profi im Kader von Austria Wien, das sich in der vergangenen Saison mit Platz drei ein Ticket für die Qualifikation zur Conference League sicherte. Dort scheiterte man in der 3. Runde am tschechischen Vertreter FC Banik Ostrau. In der Bundesliga belegt der Klub nach 17. Spieltagen Rang fünf mit nur einem Punkt Vorsprung auf den Lokalrivalen Rapid Wien, der als Siebter aktuell nur in der Qualifikationsgruppe landen würde. „Die Liga ist sehr ausgeglichen und fast alle Spiele sind eng. Da macht es einen sehr großen Unterschied, ob man von der Bank nachlegen kann und wenn man so viele Verletzte hat, erschwert das die Situation.“
Vor allem im Angriff dürften die Verletzungssorgen Trainer Stephan Helm Kopfschmerzen bereiten. Am Deadline Day hat der Klub Maurice Malone für 2 Mio. Euro an Sturm Graz abgegeben, Ende November verletzten sich erst Noah Botic (Syndesmosebandriss) und dann Manprit Sarkaria (Kreuzbandriss) schwer. „Als meine direkten Sturmpartner weggebrochen sind, war es nicht leicht, schließlich fallen dann auch immer gewisse Mechanismen aus, die man vorher mühsam trainiert hat. Im Sommer wurde ein Großteil der Mannschaft neu zusammengesetzt, das war schon eine Herausforderung“, erklärt Eggestein, der sich gefordert sieht. „Ich wurde auch geholt, um Verantwortung zu übernehmen, Spieler zu führen und sie zu coachen. Das mache ich sehr gerne und versuche, dem Team zu helfen, wo ich kann.“
Eggestein: Schritt zu den Profis ist „physisch und psychisch“ schwierig
Eggestein wurde in der Jugend von Werder Bremen ausgebildet und erarbeitet sich den Ruf als großes Sturm-Talent. In der U19-Bundesliga erzielte er 39 Tore in 28 Einsätzen, in der U17 waren es 41 in 51. Im Profibereich schaffte er es nur 2020/21 beim LASK und 2023/24 bei St. Pauli, zweistellig zu treffen. „Man kann den Jugend- und den Profifußball überhaupt nicht vergleichen, dazu gehören unterschiedliche Aspekte, denn die wenigsten jungen Spieler schaffen direkt den Sprung. Man braucht Zeit, um physisch und psychisch im Profifußball anzukommen, weil es eine ganz andere Hausnummer ist. Man spielt mit Leuten, die Ende 20 sind, die körperlich und vom Kopf her viel weiter sind als man selbst. Psychisch ist vor allem der steigende Druck eine Herausforderung, den man oft nicht sieht. Das kann man nicht vergleichen.“
Auch deshalb hat Eggestein seinen Spielstil angepasst. „Im Jugendbereich war ich ein klassischer Stürmer im Strafraum, der sich über viele Abschlüsse und Tore definiert hat. Im Profibereich bin ich eher zum mitspielenden Stürmer geworden, der sich nicht über Tore definiert, sondern seinen Anteil am Spiel – wie viele Chancen kreiere ich, wie viele Angriffe leite ich ein. Ich habe versucht mein Spiel zu erweitern, weil das für mich eine Möglichkeit war, um dauerhaft im Profifußball Fuß zu fassen“, schildert der Angreifer. „Viele bevorzugen einen 1,90 Meter großen, echten Mittelstürmer oder jemanden, der 35 km/h läuft, aber das bin ich einfach nicht. Von daher musste ich mir andere Möglichkeiten suchen, um wichtig für die Mannschaft zu sein.“
Eggestein vereint Profifußball und Studium
Mit 27 Jahren ist Eggestein mitten in seiner Karriere, doch er denkt bereits an die Zeit danach. Schon in Hamburg hat er ein Psychologie-Studium begonnen, dass er mit dem Wechsel nach Wien fortsetzt, was ihm in allen Lebensbereichen hilft. „Das Studium habe ich aus Interesse begonnen, weil ich das Thema spannend finde. Dann hat sich die Chance ergeben und mittlerweile identifiziere ich mich mit dem Studiengang, weil mir die Psychologie sehr viel Spaß macht. Ich habe mich schon früh mit der Psychologie beschäftigt. Ich habe gelernt, mich mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen, was mir auch auf dem Platz hilft, gewisse Herausforderungen besser zu verarbeiten.“
Dem Fußball könnte Eggestein nach seiner aktiven Karriere erhalten bleiben, doch er zeigt sich offen für neue Aufgaben. „Ich kann mir vorstellen im Fußball zu bleiben, aber es ist auch kein Muss, denn ich habe viele andere Interessen außerhalb des Sports. Ich versuche, es auf mich zukommen zu lassen, denn meistens ist dieser Werdegang auch etwas, was sich aus dem Verlauf einer Karriere und eines Lebens ergibt“, zeigt er sich geduldig. „Grundsätzlich fokussiere ich mich auf das Hier und Jetzt und das bedeutet, dass ich mit Austria Wien erfolgreich sein möchte. Unser Ziel ist es, unter die Top-6 zu kommen. Ich möchte bei Austria Wien eine gute und erfolgreiche Zeit haben, denn es ist ein großer Traditionsverein, der unter die Top-Mannschaften Österreichs gehört. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.“



